Bosse im Interview: „Viele Geschichten haben einen wahren Anfang“

Kraniche heißt das fünfte Studioalbum von Aki Bosse, das am morgigen Freitag das Licht der Welt erblickt. Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, mit dem sympathischen Musiker zu telefonieren und im Interview ein bisschen über die neue Platte und die Geschichten hinter den neuen Songs zu quatschen. 

Schnelleinstieg: Welche drei Wörter beschreiben deine neue Platte Kraniche am besten?
Bosse: (überlegt) Ich hoffe, dass es unterhaltsam und bunt ist. Und offen. Offen ist ein gutes Wort.
Das Bild des Kranichs oder der Zugvögel ist ja auch sehr weit und offen. Warum hast du gerade den Kranich für dein Album gewählt?
 
Bosse: Als ich vor zwei Jahren in Japan war und die Videos zu „Wartesaal“ und „Weit weg“ gedreht habe, waren wir auch in einer Bibliothek, die eine ganze Abteilung zur Bedeutung des Kranichs in der japanischen Mythologie hatte. Dort steht der Kranich für Glück und Langlebigkeit. Das hat mir sehr gut gefallen. Außerdem hatte ich bisher in meinem Leben drei ganz prägende Naturerlebnisse. Das waren einmal ein paar Wale bei Neuseeland, ein ziemlich extremer Sturm und dann der Zug der Kraniche in Linum. Als ich noch in Berlin gewohnt habe, bin ich dort regelmäßig hingefahren um mir dieses Naturschauspiel anzugucken. Plötzlich wird der ganze Himmel schwarz und dann landen die ganzen Tiere in der Ferne dort auf einer der Moorwiesen. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Grundsätzlich mag ich das Wort Kranich sehr gerne. Das kracht so schön (lacht). Ja, und dann hieß das Album am Ende so.
Der Song „Kraniche“ spielt auf dem Album einfach eine sehr zentrale Rolle. Darin geht es darum zu reflektieren, alte Sachen wegzupacken und richtig zu verarbeiten. Ich will darauf hinweisen, dass man sich im Leben eben auch über die kleinen Dinge freuen kann.
Im Vergleich zu den letzten Alben klingt die neue Platte sehr international. Wo sind die Songs entstanden?
 
Bosse: An ziemlich unterschiedlichen Orten. Los ging’s in Istanbul, weil meine Frau dort einen Film gedreht hat. Meine Tochter und ich sind dann mit dorthin gefahren und haben viereinhalb Monate dort gelebt. Dort habe ich mit dem Album die ersten Schritte gemacht, der erste Song war auch tatsächlich „Istanbul“. Das war für mich ein sehr guter Anfang, gerade weil es sich auch so schön mit den türkischen Instrumenten mischt. Da hatte ich dann wieder einen Ansatz, sodass da dann auch noch fünf andere Songs entstanden sind. Noch fünf weitere habe ich dann in Umbrien geschrieben, zwei, drei, vier bestimmt noch in Hamburg und bei meinen Eltern auf dem Dorf. Da arbeite ich auch immer sehr gerne.
Dein Pressetext zum neuen Album spricht von einem „neuen Bosse“. Wie war denn im Vergleich der Bosse, der Taxi und Wartesaal geschrieben hat? Und wie ist dieser „neue“ Bosse?
 
Bosse: Für mich selbst hat sich die Sache eigentlich gar nicht so viel verändert. Aber wenn man die letzten beiden Alben nimmt und mit dem Abstand von heute darauf guckt, muss man doch sagen, dass ich einen großen Schritt gemacht habe. Ich weiß zwar nicht genau in welche Richtung, aber gerade bei den Texten fällt mir das auf. Ich habe das Gefühl, dass ich da besser auf Situationen geachtet habe. Und im Vergleich zu Taxi und Wartesaal gibt es jetzt auch mal ein paar Auswege aus den Situationen. Außerdem habe ich darauf geachtet, mir den magischen Moment der Songs zu bewahren. Da hatte ich echt dran gezweifelt, dass das geht. Früher sind die Momente oft verloren gegangen, weil wir uns dann erst mal stundenlang mit Bass einspielen aufgehalten haben. Jetzt kam wirklich erst der ganze Text und dann die Musik. Das war vorher nicht so. Wenn ich Wartesaal heute mit Kraniche vergleiche, ist Wartesaal ein echt kaltes Album.
Ich finde es schön, dass du die Geschichten deiner Songs auf dem neuen Album auch zu Ende erzählst.  Hast du eine persönliche Lieblingsgeschichte, die du auf dem Album verarbeitet hast?
 
Bosse: Das ist einmal der „Alte Affe Angst“ und als abgeschlossene Geschichte auf jeden Fall „Familienfest“. Den Moment und die Reise in dem Stück, der Aufbruch der Fassade der angeblich heilen Familienwelt innerhalb der 2 Minuten 40 finde ich am interessantesten.
Dann gehen wir doch mal zum „Alten Affen Angst“. 
 
Bosse: Das ist textlich eine meiner Lieblingsgeschichten auf dem Album. Ich wollte schon immer einen Geschichte über Furcht und Verlustangst machen. Das habe ich mich vorher nur nie getraut, weil mir dazu immer das passende Bild gefehlt hat. Der Song lag vorher bestimmt eineinhalb Jahre in der Schublade.
Wie bist du auf die Idee gekommen, die Angst mit einem Affen zu vergleichen?
 
Bosse: Ich habe die ganze Zeit nach einem Gesicht für diese Angst gesucht. Das war echt schwierig. Ich wollte dafür irgendwas gefährliches, aber gleichzeitig auch lächerliches haben, etwas, dass sich über die Angst lustig macht. Weil mir dann beim Texten einfach nichts mehr einfallen wollte, habe ich mit der Musik weitergemacht. Als dann in der zweiten Strophe die Bongos einsetzten, hatte ich plötzlich das Gefühl da tanzt ein Tier (lacht). So bescheuert das auch klingt, aber ich sah da den Affen irgendwie tanzen.
Zuerst habe ich wirklich gedacht, das Bild sei meine eigene Erfindung. Dann hat mein Vater mir aber erzählt, dass meine Oma das früher immer gesagt hat. Und es ist in er Tat ein altes deutsches Sprichwort.
Wie viele wahre Geschichten stecken in diesem Album?
 
Bosse: Eigentlich finden fast alle Geschichten in einem wahren Moment ihren Anfang. Natürlich kann es dann sein, dass sich das dann im Laufe der Zeit mit anderen Biografien vermischt oder mit Erlebnissen, die gar nichts mit mir zu tun haben. Aber sagen wir mal so, mein bester Freund hat mir immer vorgeworfen, dass ich zum Beispiel gar nicht so traurig bin, wie „Wartesaal“ traurig ist. Das hat er dieses Mal nicht gemacht. Ich habe das Gefühl, dass alle Stimmungen, alle Launen und alles kaputte auch wirklich so unterschreiben kann. Und trotzdem ist meine Familie nicht so kaputt wie die in „Familienfest“.
Wie sieht es mit der Geschichte im Song „Sophie“ aus?
 
Bosse: Die ist mir tatsächlich so passiert. Ich war allein mit meinem Pianisten auf Tour, er ist früh ins Bett und ich bin noch in einer Bar was trinken gegangen und wurde von „Sophie“ angesprochen. So hieß sie auf keinen Fall, das stellte sich im Laufe des Abends dann auch heraus. Sie hatte sich eine komplette Geschichte ausgedacht, um einfach einen entspannten Abend zu verbringen, an dem sie nicht sie selbst sein musste.
Wie hast du darauf reagiert?
 
Ich habe sofort gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt und alles nur schlecht geschauspielert ist. Aber trotzdem habe ich jetzt nicht gesagt „Hau ab, ich lass mich nicht verarschen“, sondern habe mich trotzdem mit ihr beschäftigt. Auf irgendeine Art und Weise hat sie mir Leid getan. Und irgendwie war das auch ganz putzig. Der Song soll zeigen, dass vielleicht jeder eigentlich ein zweites Gesicht und den Grundwunsch hat, in eine andere Rolle zu schlüpfen.
Das bringt mich auf den Song „Vier Leben“. Wenn du dir vier Leben aussuchen könntest, zwischen denen du hin und her springst, wie würden die aussehen?
 
Bosse: Naja, ich habe ja wirklich das Gefühl, dass ich total oft hin und her springen muss. Mittlerweile gelingt mir das aber schon besser als früher, weil heute für mich nicht mehr alles so aufregend ist. Meine schlimmste Zeit vier Leben zu leben war für mich, als ich Geldsorgen hatte, eine Tochter bekommen und gleichzeitig aber auch noch Konzerte gespielt habe, die mir – auch im positiven Sinne – ganz schön zugesetzt haben. Und dann vielleicht noch was anderes. Heute komme ich damit aber besser zurecht und kann das Leben ganz gut genießen. Ich kann heute bei Rock am Ring spielen, dann aber nachts wieder mit dem Auto nach Hause fahren, meine Tochter morgens in die Schule bringen, danach Hackfleisch kaufen und ne Bolognese kochen, die dann auf dem Tisch steht, wenn meine Tochter nach der Schule wieder nach Hause kommt, dann nachmittags vielleicht noch eine Kinderfahrt für ein Kinderhospiz machen und abends noch Fußball spielen. Das sind alles Sachen in meinem Leben, die ich brauche. Die aber alle ohne Stress unter einen Hut zu bekommen, ist nicht so einfach.
Du warst in den letzten zwei Jahren viel unterwegs. Wo würdest du irgendwann gerne noch hinreisen?
 
Bosse: Puh! (überlegt) Weißt du, ich habe gerade einen Tauchschein gemacht. Wenn ich ehrlich bin, dann würde ich gerne irgendwohin reisen, wo man richtig gut tauchen kann. Ich war noch nie in Thailand oder Vietnam. Ich glaube, ich möchte gerne nach Vietnam.
Das soll sehr schön sein, habe ich gehört.
 
Bosse: Vielleicht mache ich das über Weihnachten. Wenn ich dann mal wieder Zeit habe.
Hier könnt Ihr in das neue Album reinhören.

 

Fotos: Nina Stiller/leuka_astra