Wie verbringt man den Dienstagabend, wenn man den ganzen Tag am Schreibtisch zugebracht hat? Natürlich am besten mit Musik. Für mich steht heute Hundreds in der Lagerhalle in Osnabrück auf dem Programm, die dort mit ihrer Wilderness Tour zu Gast sind. Das erste Konzert seit Wochen, bei dem ich nicht in offizieller Funktion unterwegs bin, sondern einfach nur so. Für mich. Tolles Gefühl.
Ich bin mir tatsächlich gerade nicht sicher, ob ich Hundreds irgendwo schon einmal live gesehen habe. Möglich ist das, auf einem der vielen Festivals, vielleicht beim Popsalon. Nur erinnern kann ich mich mit meinem müden Kopf gerade nicht. Ich weiß aber, dass einige meiner Freunde sehr viel von ihnen halten. Also lasse ich mich eben überraschen, im Zweifel noch einmal neu.
Odd Beholder
In der Tat überrascht werde ich vom Opener Odd Beholder. Das super sympathische Schweizer Duo erzeugt allein mit Stimme, E-Gitarre und Synths in der düsteren Lagerhalle einen wohligen Klangteppich, in dem ich mich wohl gerne einrollen würde. Oder vielleicht doch darauf tanzen und davon fliegen? So richtig entscheiden können sich meine Beine nicht. Was ist denn heute bloß los mit mir? Also mache ich nur ein paar Fotos für den Blog und Instagram, bevor ich mir den Rest des Sets sitzend von der kleinen Treppe vorne links an der Bühne ansehe. Und das ist wirklich hervorragend. Ich hätte Lust, die beiden noch einmal live zu sehen. Dann aber lieber, wenn ich selbst ein bisschen wacher bin.
Hypnotisiert von Hundreds?
Nach kurzer Umbaupause erklimmen Hundreds schließlich ihre hohen Bühnenaufbauten. Unter düsteren Synth- und Bassklängen und einzelnen weißen LED-Lights schwebt Frontfrau Eva an ihr Mikro. Barfuß, konzentriert, grazil.
Ich bin beeindruckt. Beeindruckt aus dem Spiel aus Klang und Licht, den elektronischen Effekten gemischt mit dem Piano, den bedacht gewählten Percussion-Akzenten und der einnehmenden Stimme, die da das Publikum gerade einhüllt. Ich beobachte, verliere mich phasenweise in der Musik und gleichzeitig in meinen Gedanken. Wenn ich doch nicht so müde wäre. Mein Kopf findet alles, was er da hört, ganz hervorragend. Die vielen düsteren, melancholischen Elemente beschweren jedoch meine Beine wie Blei.
Fast ein bisschen neidisch sehe ich zu, wie sich ein Teil des Publikums um mich herum langsam regelrecht in eine Art Trance tanzt. Ich bin einfach nur müde, aber gleichzeitig komplett fasziniert und gefesselt von den einnehmenden Sounds, die auf sehr merkwürdige Art meinen Geist umwabern. Und auch irgendwie zufrieden machen. Ist das Hypnose? Vielleicht. Wenn ich doch nur nicht so müde wäre.
Dann, ungefähr drei oder vier Songs vor der Zugabe, also insgesamt nach fast eineinhalb Stunden, passiert urplötzlich etwas mit mir. Es ist ganz so, als ob Hundreds plötzlich mit einem Ton oder einem Beat einen Schalter in mir getroffen hätten, der auf einem Schlag alle Müdigkeit aus meinem Körper hinaus pustet. Irgendwo in mir enttüdelt sich ein Knoten. Die ganze Energie der Musik, die bisher nur in meinem Kopf angekommen ist und sich dort angestaut hat, entlädt sich in meine Beine. Ich tanze, tanze, tanze. Immer weiter, immer schneller. Lache mit den Menschen um mich herum, tanze, tanze, tanze, bis gefühlt auf einmal alles eins ist. Die Musik. Die Band. Der Raum. Das Licht. Die Menschen. Ich. Nebel. Klang. Wilderness. Eins. Zugabe. Füße. Beats. Springen. Wärme. Eins. Es ist alles so wunderbar. Und plötzlich doch vorbei, als die Band lange von der Bühne verschwunden und der Bass verstummt ist, das Licht angeht und irgendwelcher leiser Schmuse-Poprock vom Mischpult erklingt.
Was ist das gerade passiert? War ich hypnotisiert? Vielleicht ein bisschen. Auf jeden Fall war die Reise in die Wilderness mit Hundreds ein Erlebnis, das ich so schnell nicht mehr vergessen werde.