Da ist er vorbei, der zweite Abend des 6. Popsalon in Osnabrück. Ich sitze hier mit präseniler Bettflucht um 7 Uhr morgens auf der Couch, ein hartnäckiger Ohrwurm von TÜSN sitzt neben mir, dazu läuft die frisch erstandene Kassette von Motorama und irgendwo schwirren auch noch die Geister von Gloria und Klaas Heufer-Umlauf durch meinen Kopf. Hallelujah, was für ein Abend!
Man könnte meinen, es würde richtig voll bei #gloria. Die Schlange geht durch die halbe Altstadt #popsalon #festival pic.twitter.com/FFbtMtcKah
— LEISE/laut (@leiselaut) April 15, 2016
Entspannt zu Gloria
Zum Einstieg soll es heute Abend für mich Gloria geben. Als ich gegen 19.45 Uhr mein Fahrrad am Haus der Jugend abstelle, windet sich die Schlange dort schon durch mehr als nur eine Gasse der Altstadt. Mir war zwar schon gesagt worden, dass es voll werden würde, aber so einen Menschenbandwurm habe ich hier schon lange nicht mehr gesehen.
Drinnen steht die erste Reihe schon fest an der Absperrung geparkt. Ich sortiere noch mal meinen Kamerakram und dann geht es auch schon los. Gloria sind für einen sanften Einstieg in den Abend perfekt. Ich werde jetzt nicht unbedingt Gloria-Fan, aber angucken kann man sich das auf jeden Fall. Nicht weltbewegender, aber simpel schöner Gitarren-Poprock, nicht zu anstrengend und dank des Profi-Moderators Klaas Heufer-Umlauf als Frontmann einfach unterhaltsam. Punkt. Die Band spielt sich durch ihr aktuelles Album „Geister“ und macht das live echt gut. Die Herren Heufer-Umlauf und Tavassol haben sich da aber auch eine wirklich tolle Band zusammengesucht.
Nebenbei, als ich nach den üblichen drei Songs aus dem Fotograben klettere und kurz nach oben gen Gitarrist blicke, muss ich unfreiwillig grinsen:
Zeichen, an denen du erkennst, auf zu viele Konzerte zu gehen: du siehst den Gitarristen von Gloria und denkst „2007, Fotos, geil!“ #fangirl
— LEISE/laut (@leiselaut) April 15, 2016
Das Album von Fotos habe ich damals rauf und runter gehört. Aber das ist eine andere Geschichte.
Überraschungsei Motorama
Um nicht den Start von Motorama zu verpassen, laufe ich lieber schon kurz vor Ende des Gloria-Sets in Richtung Lagerhalle. Ich muss mir merken, dass mein Fahrrad hier noch steht. Für die 100 Meter lohnt sich das auf- und abschließen einfach nicht. Auf dem Weg springe ich aber doch noch mal schnell im Stadtgalerie Café in die Campfire Lounge und nehme zumindest noch einen Song von Wood&Valley mit. Wunderschön. Schade, dass man nicht parallel an zwei Orten gleichzeitig sein kann.
Eigentlich hätte ich von gestern noch wissen müssen, dass keine Band vor leerem Saal startet. Also erst mal warten. Der Vorteil: Ich stehe fest positioniert an der Bühnenkante. Als dann nach etwa zwanzig Minuten der Menschenschwarm von Gloria die Lagerhalle entert, können Motorama endlich loslegen. Das ist vermutlich die erste russische Indierockband, die ich jemals gesehen habe. Auf einmal sind sie einfach da und spielen los. Ganz ohne Schnörkel, ohne Show-Getue. Einfach vier Männer und ihre Musik. Und die ist verdammt gut. Bereits nach wenigen Songs ist es im Saal brechend voll, das Publikum wippt gut gelaunt mit. Etwas über die Hälfte des Sets spielen Motorama sich hochkonzentriert und, ja, ich möchte sagen mit sozialistischer Ernsthaftigkeit durch ihre wunderbaren, komplexen Song-Gebilde. Scheinbar nach dem Motto: „Die Menschen haben Eintritt bezahlt, also sollen sie auch etwas Gutes geboten bekommen.“ Dass sie das bekommen, ist keine Frage. Ich bin völlig fasziniert, grinse wie ein Honigkuchenpferd und tanze, genauso wie die Menschen um mich herum. Irgendwann scheint die Stimmung auch auf der Bühne anzukommen – für die letzten fünf oder sechs Songs sind Motorama wie ausgewechselt und rasten an ihren Instrumenten komplett aus, die Menge feuert sie an. Und da ist sie auf einmal, diese Energie zwischen Band und Publikum, nach der ich früher regelrecht süchtig war.
Motorama sind für mich bisher auf jeden Fall das Highlight des Popsalons und ich kann sehr gut verschmerzen, so nicht Ida Gard in der Kleinen Freiheit gesehen zu haben.
TÜSN im Nebel
Nach Motorama hat es wohl jede Band schwer, mich heute noch mal so zu begeistern. Aber da sind ja auch noch TÜSN. Ich bleibe also in der Lagerhalle und werde Zeuge einer der nebeligsten, düstersten Shows, die ich jemals gesehen habe. TÜSN verwandeln den Bühnenbereich mit gefühlt einer Tonne Trockeneis und grellen Strobos in eine grau-lila Wolke irgendwo zwischen Himmel und Hölle und zelebrieren ihre Show so, dass man sich fast wie in einer riesigen Kathedrale vorkommt. Zum Fotografieren ist der Nebel eher so, äh, naja. Und ich frage mich dazu die ganze Zeit, wie man in der Nebelwand wohl noch spielen kann, ohne zu ersticken. Aber für das Auge und die Ohren beeindruckend ist es auf jeden Fall. Silhouetten im Nebel, dazu bombastische Klänge. Ich fühle mich einen anderen Ort entführt und nach dem Konzert ein wenig wie nackt wieder ausgespuckt. Alles hier ist unglaublich intensiv, groß, dunkel.
TÜSN spricht man übrigens wirklich [tuessn] aus und nicht TÜÜÜSN, wie mein Kopf das immer noch gerne würde. Überhaupt scheine ich bei der Band prädestiniert für Fettnäpfchen zu sein. Nach der Show kaufe ich mir am Merch noch eine Kassette von Motorama, dann auch noch ein Shirt von TÜSN. Ich quatsche ein bisschen Smalltalk mit dem Mercher – der sich später als Bassist von TÜSN entpuppt. Deshalb kommt meine Frage „Machst du bei TÜSN immer den Merch?“ entsprechend nicht soo gut an. Vor lauter Nebel während der Show habe ich ihn bei klarer Luft gar nicht erkannt. Äh, ja. Pardon, Herr David!
Und sonst so?
Leider habe ich von niemandem gehört, wie es bei Ida Gard gewesen ist. Dafür muss es bei Say Yes Dog eine mega Party und brechend voll gewesen sein. Eigentlich wollte ich selbst auch noch in die Freiheit und feiern, aber als ich zu Hause meine Kamera abgelegt und noch schnell die Fotos importiert habe, hat mich mein Sofa gefressen und ich bin eingenickt. Schwupps. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf heute Abend und hoffe, dass ich es dieses Mal bis zur Aftershow in der Kleinen Freiheit schaffe. Schließlich ist da Kapelle, Kapelle.