Subjektiv betrachtet wird die Welt immer schlechter, fand ARD- und Web-Journalist Manuel Möglich. Für sein Buch „Alles auf Anfang“ wollte er herausfinden, ob dem wirklich so ist und besuchte dafür auf seinen Reisen Träumer, Utopisten und Weltverbesserer; Menschen, die die Welt zum Positiven verändern wollen. Einige dieser Geschichten präsentierte der 39-Jährige am Samstagabend im Spitzboden der Lagerhalle Osnabrück in einer zweistündigen Multimedia-Lesung.
Trotz thematisch teils sehr starker Sprünge schafft Möglich es, die Gäste seiner Lesung in Welten zu entführen, die sie sonst so wohl nie gesehen hätten. Sein persönlicher Blickwinkel und seine humorvolle bis realsatirisch angehauchte Vortragsart bereiteten dem Publikum einen sehr unterhaltsamen Abend.
Manuel Möglich, der übrigens tatsächlich so heißt, sitzt mit Laptop und Leselampe auf der kleinen Bühne im ansonsten stockdunklen Spitzboden. Hinter ihm eine Leinwand, auf der er immer wieder begleitende Bilder oder Filme aus seinen Y-Kollektiv-Produktionen einblendet. Und das ist auch gut so, denn sonst fiele es sicher schwer, die eine oder andere Geschichte des Abends zu glauben.
So ist da zum Beispiel die Geschichte von Web.de-Gründer Michael Grewe, über den Möglich in Kalifornien auf Menschen stößt, die dem Altern den Kampf angesagt haben. Seine Reise führt den Journalisten zum RAAD-Fest nach San Diego, einem Kongress, der sich als „Revolution gegen das Altern und den Tod“ sieht. Hier stellen unter anderem große Erfinder wie Ray Kurzweil in Aussicht, dass der Tod aus technischer Sicht 2045 besiegt sei und der Mensch dank Künstlicher Intelligenz als Cyborg ewig leben könnte. Für die Zuhörer klingt das alles wie Science Fiction. Für Möglich anscheinend auch. Aber auf der Leinwand lacht Ray Kurzweil tatsächlich von der Kongressbühne.
Möglich liest weiter von seinen Erlebnissen im Hambacher Forst, wo er Anfang 2016 die Waldbesetzer in ihren Baumhäusern besuchte. „Was sind das für Menschen, die da im Baum sitzen?“, wollte Möglich wissen und so erfahren die Zuhörer von Tamm, der in 18-Meter Höhe in einer 250 Jahre alten Eiche wohnt. Während Möglich seine Angst in der Höhe und Bewunderung für dieses „David-gegen-Goliath“-Unterfangen beschreibt, die Hintergründe und Auswirkungen erklärt, zeigt die Leinwand einen tonlosen Videoclip und einige Fotos. Schwankende Hängebrücken, das erstaunlich gemütlich wirkende Baumhaus, Bewohner, die alte Trasse der Autobahn A4, die für die Rodung umgelegt wurde und zuletzt den Tagebau, oder „das größte Loch Deutschlands“. Die Stimmung im Saal ist beeindruckt bis mulmig, die nun folgende Pause sehr willkommen.
Nach der dystopisch wirkenden Realität des Hambacher Forsts entführt Möglich sein Publikum in die Unwirklichkeit gelebter Utopien: „Tamera“ in Portugal. Die kleine Arbeits- und Lebensgemeinschaft aus Deutschen, Portugiesen, Amerikanern und anderen Erdenbürgern ist bestrebt, alles zu teilen, zu heilen und irgendwann einen friedlichen Systemwechsel herbeizuführen. Möglich berichtet von seinen Erlebnissen zwischen Ikea-Schlafsaal, Energie-Dreieck und Lachyoga, die ihn teils verstören, teils versöhnen.
Jetzt noch schnell ein kleiner Film über die AfD, dann weiter zu Polygamisten in der Schweiz. Während Tamera wie ein friedlicher Hippie-Ort wirkt, bleibt Möglichs Ausflug zur polygam lebenden Kirschblütler-Gemeinschaft eher befremdlich in Erinnerung. Nicht nur beim Autor selbst. Schuld daran ist sicher auch das fragwürdig groteske Akt-Gemälde der hochschwangeren Frau des Gurus, das in Übergröße in Möglichs Zimmer hing und bis zum Ende der Lesung immer wieder auf der Leinwand im Spitzboden auftaucht.