Tamikrest – Hypnotischer Wüstenabend mit Rock aus Mali

Vor einer Woche waren Tamikrest in der Lagerhalle in Osnabrück zu Gast. In der Vorankündigung hieß es, sie seien eine der besten Bands, die Westafrika in der letzten Zeit hervorgebracht hat. Rock gemischt mit traditionellen Sounds aus Mali. Zeit also, meinen musikalischen Horizont zu erweitern.

Was läuft hier eigentlich schief?

Mein Konzertabend beginnt mit einem kleinen Missgeschick. Konnte ja auch keiner ahnen, dass in der Lagerhalle vorher Fußball gezeigt wird (wie immer) und sich die normale Einlasszeit von 19 Uhr auf 20.30 Uhr verschiebt. Ich bin verwirrt. Sowas ist mir noch nie passiert. Sonst komme ich höchstens mal zu spät, nie zu früh.

Also, noch mal von vorne. Irgendwann sind die Fußballfans weg, der Einlass beginnt. Vor der kleinen Kasse spielen sich merkwürdige Szenen ab. Gefühlt jeder dritte Konzertbesucher kommt verwirrt zurück aus dem Saal und fragt, wo denn die ganzen Stühle hingekommen seien. Stühle? Bei einem (Rock)Konzert mit tanzbarer Musik? Ich schaue genauso ungläubig wie das Mädel an der Abendkasse. Mein Lieblingsdialog, und gleichzeitig der wohl abstruseste des Abends, kommt von einer besonders pampigen Frau Anfang 60.

Frau: „Wo sind denn die ganzen Stühle hin? Werden die noch aufgebaut? Das geht doch so nicht.“
Kassiererin: „Es tut mir leid, das Konzert ist unbestuhlt.“
Frau: „Was? Wo steht das? Das gibt es doch nicht. Ich hatte einen harten Tag im Garten. Ich brauche jetzt einen Stuhl.“

Ja. Wirklich. Und so sehe ich, wie viele Damen und Herren im Alter meiner Eltern Barhocker und andere stuhlähnliche Gegenstände in den Saal schleppen. Ich senke dagegen heute den Altersdurchschnitt.

Tamikrest am 8. April 2017 in der Lagerhalle Osnabrück.

Jetzt aber Musik: Tamikrest

Was für ein grotesker Start in den Abend. Ich brauche Musik. Tamikrest starten geheimnisvoll, hypnotisch. Und gleichzeitig fast schon ein bisschen schüchtern. Traditionelle Tuareg-Gesänge mischt die Band aus Mali mit elektrischen Gitarren. Konzentriert sind sie ganz in ihre Musik vertieft und wirken unglaublich sympathisch. Ich verstehe natürlich kein Wort der Texte, aber hier wird mir nach längerer Zeit mal wieder klar, dass man Musik nicht wörtlich verstehen, sondern einfach nur mit dem Bauch spüren muss, um zu wissen worum es geht. 

Tamikrest am 8. April 2017 in der Lagerhalle Osnabrück.

Immerhin weiß ich, dass sich ihre Songs um den Wunsch nach Freiheit der Tuareg drehen. Die Sahara ist ihre Heimat, doch ist diese seit Jahren von vielen politischen und gewaltsamen Konflikten gebeutelt. Diese Sehnsucht nach Freiheit spürt man in jedem Ton. 

Die 5-köpfige Band fordert das Publikum mit ungewöhnlichen Rhythmen und Taktfolgen heraus. Ich erlebe zum ersten Mal, dass die Mehrheit selbst bei einem 5/4-Takt richtig mit klatscht. Im Kontrast zu den pampigen Stuhl-Menschen lässt sich die Mehrheit der Zuhörer entführen, verzaubern. Ich schließe die Augen und sehe große Weiten, höre in der Musik fremde Landschaften und Farben, die sich mit Worten kaum beschreiben lassen. Die Sehnsucht und Melancholie packt mich, ich lasse mich treiben und tanze, einfach immer dem Beat hinterher. 

Tamikrest am 8. April 2017 in der Lagerhalle Osnabrück.

Aus irgendwelchen Gründen erinnere ich mich plötzlich an Erzählungen meiner Eltern, in denen ihre Studienfreunde mit Hippie-Bullis nach Marokko oder Afghanistan gefahren sind. Das ist zwar nicht Mali, aber dennoch. Würde es darüber heute einen Kinofilm geben, würden Tamikrest mit ihrem aktuellen Album „Kidal“ den Soundtrack liefern. Und wenn ich mich so im Raum umsehe, könnten einige der Anwesenden vor 40 Jahren tatsächlich einen ähnlichen Roadtrip gemacht haben.

Tamikrest verabschieden sich nach gut eineinhalb Stunden inklusive einiger Zugaben mit dem wohl bescheidensten und gleichzeitig dankbarsten Lächeln, dass ich seit langem bei einer Band sehen durfte. Ein Konzert der Band kann ich jedem empfehlen, der mal einen Blick über den üblichen Pop-Rock-Indie-Tellerrand wagen möchte. Stühle sollten aber dringend draußen bleiben 😉  

 

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