Unterwegs beim Talge Open Air 2016

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Es ist Juli und das heißt für mich, dass ich fast jedes Wochenende auf einem Konzert oder Festival unterwegs bin. Am vergangenen Wochenende habe ich mich intensiv mit meiner Kamera beim Talge Open Air bei Bersenbrück umgesehen. Ein schnuckeliges Festival, das dabei ist, sich aus seinem Dornröschenschlaf wieder nach vorne zu mausern.

Freitag. Ich bin für den Veranstalter Zukunftsmusik mit meiner Kamera auf dem Gelände unterwegs. Während ich auf den Startschuss warte und hoffe, dass der Nieselregen passend zum Einlass aufhört, sehe ich mich im zum Backstage umfunktionierten Vereinsheim um. Das Talge Open Air ist keine neue Erfindung. Vor 22 Jahren hat es zusammen mit einem Kleinfeld-Fußballturnier, dem Kleinhirnturnier, zum ersten Mal stattgefunden.

Im Vereinsheim hängen stolz die Zeitungsberichte der letzten 20 Jahre. Es gab richtig gute Zeiten mit fast 2000 Besuchern, dann wieder nicht so gute. Irgendwann muss das Festival in einen Dornröschenschlaf gefallen sein. Zumindest wenn man den Stimmen an der Wand zuhört. Vor drei Jahren hat Zukunftsmusik aus Osnabrück die musikalische Leitung übernommen und ist nun bestrebt, das Talge wieder als Rockfestival mit hochkarätigem Line-Up in der Region zu etablieren.

So wie das gerade aussieht, klappt das auch wohl ganz gut. Auf der Playbill stehen Pascow, We Were Promised Jetpacks, East Cameron Folkcore, Go Go Berlin, Wallace Vanborn, Rideau, Birth of Joy, Giant Rooks, Wood & Valley… eigentlich keine einzige Band, die ich nicht mag. Und das muss man erst mal schaffen.

Talge Open Air – Freitag

Pünktlich zum Start kommt tatsächlich die Sonne raus. Auf dem Gelände ist es noch leer, aber es ist ja auch noch früh. Freitag. Die meisten Leute müssen arbeiten.

Bei der zweiten Band, Rideau aus Schweden, sieht es schon ein bisschen besser aus. Aber das ist letztendlich auch wurscht, denn die Herren geben in ihren Anzughosen derart Vollgas, ganz so als ob vor ihnen 10.000 Menschen stehen würden. Klettern an der Traverse, Ausflüge auf die Boxen, fliegende Mikros, hochgereckte Mikroständer. Was passiert hier bitte gerade? Egal, es ist geil. Später am Abend erzählen sie, dass man es nur so nach vorne schafft. Immer Vollgas, egal ob da 2 Leute oder 2000 Leute stehen. Wohl wahr. Ich hoffe, dass ich die Herren bald noch mal live sehen kann.

Über dem Gelände geht zwischen letzten Sturmwolken die Sonne unter. Wallace Vanborn aus Belgien überraschen mich und holen mich mit ihrem Sound direkt ab. Ich ertappe mich dabei, wie ich mit meiner Kamera durch den Bühnengraben hüpfe. Huch! Da hat irgendwas in mir mein 20-jähriges Ich getriggert, das am liebsten vor der Bühne sehr eigenwillig tanzen möchte.  Das Wallace Vanborn diese Woche auch noch als Support für Bad Religion unterwegs sind, kickt meine Begeisterung gleich noch ein Stückchen nach vorne. Aber ich bin ja zum Fotografieren hier 😉 Die Belgier gehen ebenfalls gut ab, haben schönes Licht am Start und servieren mir damit kurz vor Ende ihres Sets eines der wohl dramatischsten Konzertfotos, das ich jemals geschossen habe.

Weiter geht’s mit Go Go Berlin. Die Band mag auf der Bühne keine Front Lights. Für mich heißt das, viel buntes Licht von hinten zu fotografieren. Wenn man dem Sänger nicht so ganz richtig ins Gesicht gucken kann, kann man sich andererseits auch besser auf die Musik konzentrieren. Und auch die ist hervorragend. Die Stimmung vor der Bühne wird dank fortgeschrittener Stunde immer ausgelassener. Es ist voll, die Leute tanzen und feiern sich ein Stück weit selbst.

Das große Finale gibt es an diesem Abend mit Pascow. Die Saarländer Post-Punker feuern Talge alles entgegen was sie haben, verteilen Pfeffi, crowdsurfen und haben auch zu so später Stunde noch so viel Energie wie ein Haufen überdrehter Duracell-Hasen. Sehr sympathisch. Fast 600 Leute stehen im Publikum und haben ebenfalls sichtlich Spaß. Und das so sehr, dass man irgendwie das Gefühl hat, zwischen noch viel mehr Menschen zu stehen.

Der Samstag

Ich bin schon früh am Nachmittag da und fotografiere den eigentlichen Ursprung des Festivals. Das Kleinhirnturnier. Ein ganzer Haufen Spaß-Mannschaften kämpft um den Kleinhirnpokal und hat, ja, jede Menge Spaß. Das Wetter ist hervorragend, aber wie Murphy es nun mal will, fängt es kurz vor dem Festival-Einlass wieder an zu regnen. Nicht schlimm, Landregen, der hört auch wieder auf.

So bleiben aber trotzdem viele Festivalbesucher lieber noch in ihren Zelten, als der Osnabrücker Singer-Songwriter Wood & Valley mit seinem Folk Punk den Abend eröffnet. Wer auf leicht raue Stimmen a la Chuck Ragan steht, sollte sich den Herrn auch auf jeden Fall merken.

Bei Birth of Joy ist es ebenfalls noch relativ leer. Dafür ist es auf der Bühne umso voller. Jede Menge Instrumente stehen da und werden bis aufs äußerste in Anspruch genommen. Die Niederländer haben zu Hause schon eine recht große Fangemeinde. Hier kennt sie kaum jemand. Das darf sich aber gerne ändern, denn musikalisch haben die Jungs wirklich einiges auf dem Kasten. Experimentell, druckvoll, mit Wumms, nach vorne.

Ich drehe eine Runde über den Campingplatz. Als ich gestern hier vorbeifuhr, stand hier kaum ein Auto. Jetzt ist es ziemlich voll und die Stimmung gut. An fast jedem Zelt wird mir etwas zu trinken angeboten, fast jeder grinst ausgelassen in meine Kamera. Ein Zelt feiert Geburtstag, ein Mädelspavillion präsentiert mir stolz ihre Seifenblasenkanonen und ihr Glitzerkonfetti, mit dem sie mich noch den ganzen Abend immer wieder tatkräftig unterstützen. Danke dafür, ihr Lieben!

Gemeinsam laufen wir wieder hinüber zum Festivalgelände. Hier spielen nun Giant Rooks aus Hamm. Eine extrem talentierte Newcomerband, die nicht nur die Mädels vom Campingplatz begeistert. Immer wieder fragen mich andere Besucher, wer das denn da vorne auf der Bühne gerade ist. Die sind ja super! Da wollten sie sich gleich noch eine CD kaufen.

Nach den Giant Rooks kommt mein persönliches Highlight des Wochenendes in Talge: East Cameron Folkcore. Die aus Texas stammende Band kommt mit einer wahnsinnigen Energie auf die Bühne, die sich sofort auf die Menge überträgt. Irgendwo zwischen Country, Folkpunk, Rock und Soul machen die sieben Musiker ihr eigenes Ding. Wild arrangiert mit Posaune und Cello, Keyboard und E-Gitarre und noch einigen Instrumenten mehr. Roh. Laut. Echt. Am Abend vorher hat mir Gitarrist Phil erzählt, dass sie früher sogar mit 12 Leuten auf der Bühne gestanden haben. Aber wie das Leben so spielt, müssen die anderen gerade „im echten Leben“ arbeiten oder haben einfach keine Zeit mehr für die Band. Ich kann mir nur ausmalen wie viel Energie die Band mit der doppelten Besetzung auf der Bühne hätte. Wahrscheinlich würde irgendwas dort von selbst explodieren, mitten im mehrstimmigen Gesang. Ich bin fasziniert.

Nach so einer vollgestopften Bühne wirken die Headliner des Abends, We were Promised Jetpacks aus Schottland, räumlich gesehen fast schon etwas verloren. Aber die vier Herren verzaubern mit ihrem Indierock den Platz in Talge ab dem ersten Ton. Ohne viel Schnickschnack, einfach nur mit guter Musik. Ich möchte mich in der Musik einfach einrollen und weiter tanzen. Besonders als Quiet Little Voices läuft. Aber auch sonst in jedem anderen Song.

Insgesamt ist das Talge Open Air auf einem super Weg, sich in der Region wieder als ordentliches Festival mit nationalen und internationalen Größen zu etablieren. Wer weiß, vielleicht tritt es ja irgendwann in die Fußstapfen von Omas Teich? Wünschen würde ich es ihm auf jeden Fall.

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