Es ist passiert, ich bin unter die Jogger gegangen. Zumindest für meine Verhältnisse. Und Schuld daran ist einzig und allein die UK-Poppunk Combo Muncie Girls mit ihrem neuen Album From Caplan to Belsize, das mich einfach losrennen ließ. Aber von Anfang an…
Es ist schon dunkel draußen, die ersten Leute in meiner Straße ziehen los in die Clubs. Aber mein Ehrgeiz, wenigstens einmal alle Streifen in meiner Fitbit-App im grünen Bereich zu haben, treibt mich noch mal in Sportklamotten vor die Tür. Und die Melancholie, die mich schon ein paar Tage lang nicht loslassen will. Ein bisschen „sportlich“ Spazierengehen schadet da sicher nicht. Nach langer Zeit habe ich meinen uralten iPod Classic mal wieder mit einer monströsen Ladung neuer Alben gefüttert, die in den letzten zwei, drei Monaten in meinem Blog-Postfach gelandet sind.
Irgendwo in dem Haufen steckt auch From Caplan to Belsize von Muncie Girls aus England. Eine Kapelle mit Frontfrau, die richtig schönen Punkrock mit leichtem Pop-Appeal macht, vor dem sich Avril Lavigne oder Paramore mit Tränen in den Augen verneigt hätten. Die Visions feiert das Album seit Wochen (oder hat es wochenlang gefeiert, mein Zeitgefühl ist etwas durcheinander). Und ich habe es immer noch nicht ganz gehört.
Was für ein schöner Zufall also, dass die „Zuletzt hinzugefügt“-Playlist gleich das Album ausspuckt, als ich noch mit meinem Schlüssel in der Hand etwas ungelenk die Treppen zu meiner Haustür hinunter hüpfe und dabei versuche, meinen iPod und mein Handy in meinen viel zu kleinen Jackentaschen zu verstauen.
Der erste Ton von „Learn in School“ trifft mein Trommelfell auf dem letzten Treppenabsatz vor der Tür. Und plötzlich ist es so, als hätten meine Füße ein Einhorn mit Regenbogen oder sonst ein wunderbares Wesen gesehen, dem sie jetzt hinterherrennen müssten. Ich reiße förmlich die Haustür auf und laufe los. Ich, die in den letzten 10 Jahren höchstens Mal zum Gate am Flughafen oder ihrem Longboard hinterher gerannt ist.
Es geht den Bürgersteig hoch bis zum kleinen Kreisverkehr, über das holprige Kopfsteinpflaster, in die nächste Straße. Weiter den Berg hoch. Ach komm, bis zur Bismarckstraße schaffst du es schon, auch wenn es da langsam steil wird. „Gone With the Wind“ startet gerade, als ich ziemlich außer Puste an der Straßenecke ankomme und den Berg des Todes meiner Grundschulzeit, die noch steilere Blumenthalstraße, trotz allem im Stechschritt und in Rekordzeit hoch marschiere.
„Respect“ schallt es mir entgegen, als ich den Gipfel erreicht habe und wie durch Zauberhand (oder -fuß) renne ich schon wieder. Leicht ungläubig, aber ich laufe. Wirklich. Bis mich der Fußweg über den Westerberg irgendwann wieder ausbremst. Das macht aber nichts, denn wieder trägt mich der nächste Song in kompletter Dunkelheit die nächste Horrorsteigung hoch. Und er heißt allen Ernstes „Balloon“.
Langsam ist mir das schon fast unheimlich. Bei „Social Side“ überhole ich, wieder laufend, wenn auch langsam, die einzigen Menschen, die sich um diese Uhrzeit auch auf den Berg verirrt haben.
Ich kann sie nur sehr schemenhaft ausmachen. Es ist ziemlich windig und die Zweige der Bäume, die den Weg säumen, schwingen wild hin und her. Im fahlen Mondlicht werfen sie düstere Schatten auf den Asphalt, sodass ich immer das Gefühl habe, gleich mit irgendeinem Tier zusammenzustoßen. Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob das wirklich die allerbeste Idee war, hier entlang zu laufen. „It’s a nervous time“, singt mir Muncie Girls-Frontfrau da ins Ohr. Say what?
Ich muss kurz grinsen. Jetzt reicht es aber mit den Zufällen, oder? Anscheinend schon, denn bei „Gas Mark 4“ laufe ich nicht zufällig an einer Gasleitung vorbei. Oder sonst was. Aber ich bin mittlerweile hochmotiviert und sogar wieder relativ gut gelaunt.
Mit den ersten Tönen von „I don’t wanna talk about it“ laufe ich wieder los. Die Muncie Girls pushen mich. Bis zum nächsten Auto. Zur nächsten Straßenecke. Zur Ampel. Zum nächsten Schild. Ok, bis zum nächsten Schild. Die Einfahrt da noch. Die nächste Laterne. Bis zum nächsten Song.
„Committee“ startet. Ich laufe immer noch. Mittlerweile bin ich auf der Rheiner Landstraße und laufe tatsächlich den Berg hoch. Ohne zu gehen. Bis zum nächsten Schild. Bis zur Ecke der Ernst-Sievert-Straße. Und anscheinend folgen meine Füße immer noch dem Einhorn oder Regenbogen. Oder Surfen sie auf der Musik? Ich jogge jetzt die Straße hinunter und bin eigentlich schon ganz schön fertig. Aber das ist mir irgendwie vollkommen egal. Stattdessen singe ich im Kopf mit: „I don’t wanna be buried in a pet cemetery“. Der letzte Song des Albums. Ich bin schon fast ein bisschen traurig, dass es gefühlt so schnell vorbei gegangen ist. Trotzdem laufe ich noch die letzten 2km hochmotiviert und mit hochrotem Kopf nach Hause.
Muncie Girls – Die echte Review
Mit From Caplan to Belsize haben Muncie Girls ein großartiges Album herausgebracht, dass mich einerseits natürlich wegen der hervorragenden Melodien mitreißt. Die gehen sofort ins Ohr und bleiben da noch stundenlang hängen, auch wenn man schon lange wieder mit etwas anderem beschäftigt ist. Dazu kommen Texte, die alles andere als beliebig sind. Muncie Girls äußern sich in ihren Songs äußerst kritisch, sprechen Themen an, die sonst gerne mal unter den Teppich gekehrt werden. Für mich ist diese Platte unheimlich, ähm, mir fehlt das deutsche Wort, empowering. Aus meiner etwas hilflosen Melancholie zu Beginn des Abends ist binnen der knapp 40 Minuten des Albums ein riesiger Schwall Motivation, Kraft und guter Laune geworden.
Anscheinend wollte das Universum es so, dass ich so eine enge Bindung zu diesen Songs aufbaue. Sonst wäre es hier ja schließlich nicht zufällig an meinem Geburtstag released worden 😉 (4. März).
Und Euer Lauf-Soundtrack?
Ist Euch auch schon mal so etwas oder so etwas ähnliches mit einem Album passiert? Welche Musik hört Ihr, wenn Ihr Sport macht oder ziellos durch die Gegend rennt? 🙂 Ich bin gespannt und freue mich auf Eure Kommentare.
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