Ich bin zurück aus Dakar. Kurz vor meiner Abreise habe ich noch einen Artikel für golem.de über den ehemaligen Musikstreaming-Anbieter LastFM geschrieben. Na, kennt Ihr das noch? Habt Ihr früher auch fleißig gescrobbelt und Euer Profil dort wie Gold behandelt?
Einst war LastFM die beliebteste Musikplattform im Netz, ein riesiger Abenteuerspielplatz für Musikentdecker und Musikliebhaber. Nach seinem Relaunch 2015 dümpelt der ehemalige Streaming-Dienst nun in der Grauzone zwischen Neupositionierung und Netz-Nirvana. Findet der Dinosaurier noch einmal den Weg zurück in den Mainstream?
Es gab Zeiten, da war das LastFM-Profil für den im Netz beheimateten Musik-Nerd mit das wichtigste Aushängeschild des persönlichen Musikgeschmacks. Mithilfe des Scrobblers, der jeden vom Nutzer in Mediaplayern wie iTunes oder Winamp gehörten Song analysierte, erstellte die 2002 gegründete Plattform mit Community-Charakter für jeden Nutzer personalisierte Empfehlungen aus Musik, Playlists und interessanten Menschen. Das LastFM-Profil war einem so wichtig, dass man seine virtuellen Musik-Freunde dort per Shoutbox schon mal vorwarnte, wenn die Scrobble-Liste drohte durcheinander zu geraten. Nein, man hatte nicht seinen musikalischen Verstand verloren, nur die Kontrolle über die Playlist bei der letzten Party.
Nachdem 2007 LastFM für 280 Millionen Dollar an die amerikanische CBS Corporation verkauft wurde, erfuhr das Angebot des in London ansässigen Unternehmens nur wenig Neuerungen. Mit dem Aufkommen größerer Streaming-Anbieter verlor LastFM immer weiter an Boden und Relevanz. Nach großen Verlusten stellte die Plattform 2014 schließlich sein eigenes Streaming-Angebot ein und konzentrierte sich stattdessen auf Kooperationen mit Spotify, Youtube und Vevo.
Seit einem aufwändigen Relaunch der LastFM-Seite im Sommer 2015 versucht man nun, alte Nutzer zu halten und neue anzulocken. Jedoch hat das Netzwerk heute wohl nur noch echte Relevanz für Nostalgiker unter den langjährigen Nutzern und Statistik-Nerds. Der Mainstream-Nutzer, dem es in erster Linie darum geht, möglichst bequem neue Musik zu hören, ist längst ganz zu anderen Plattformen wie Spotify abgewandert. Hauptsächlich, weil diese alle relevanten Musikentdecker-Features aus einer Hand bieten.
Fokus auf Daten
Das LastFM Radio ist tot. Dafür konzentriert sich LastFM nun seit der Einstellung seines eigenen Streaming-Angebots vor allen Dingen auf die durch das Scrobbeln generierten Daten. Das spiegeln auch die neuen Funktionen wieder, die seit dem Relaunch 2015 die Nutzer im LastFM-Universum halten sollen. Das einstige Dashboard zeigt im Live-Bereich nun in Echtzeit mithilfe eines Counters, eines Streams und einer Weltkarte, welche Songs gerade wo auf der Welt gescrobbelt werden, welche Künstler im Trend liegen und welcher Nutzer gerade welchen Song hört. Dazu zeigt der neue Home-Feed auf Basis der Scrobbles persönliche Musikempfehlungen an, wenn man angemeldet ist.
Besonders beliebt ist laut einer Stellungnahme von LastFM die neue Library-Funktion, die es eingeloggten Nutzern erlaubt, auf ihre komplette, gescrobbelte Musik-Historie zuzugreifen. So kann man in seinen musikalischen Erinnerungen schwelgen und sehen, welchen Song man hörte, als man z.B. vor Jahren an seiner Diplomarbeit verzweifelt ist und welchen Song man daraufhin neu entdeckte. Sozusagen der echte „Soundtrack of your Life“. Und ja, es ist schon nett, sich für einige Momente in der Vergangenheit zu verlieren. Die Frage ist nur, ob man nicht lieber in der Gegenwart leben möchte.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Auch wenn die Library eine schöne Funktion ist, hat LastFM insgesamt doch ein großes Problem: Mittlerweile gibt es mit Spotify, Deezer, Ampya und Co. zu viele Dienste, die den Job des zuverlässigen Musikempfehlers nicht alle unbedingt immer besser, aber zumindest wesentlich komfortabler erledigen. Warum sollte man also als gewöhnlicher Nutzer seine gehörten Titel z.B. von Spotify zu LastFM scrobbeln, um dann von Spotify auf sein LastFM-Profil zu gehen, um sich dort seine Musikempfehlungen abzuholen, die dank Integration wieder direkt in Spotify abgespielt werden – und einem wahrscheinlich auch schon von Spotify in der „Entdecken“-Kategorie empfohlen worden wären?
Dazu kommt noch, dass die Empfehlungen mobil nur leidlich bis gar nicht funktionieren. Die iOS-App erhielt ihr letztes Update 2014 und ist damit vollkommen veraltet. Wenn man bedenkt, dass neun von zehn Menschen Musik unterwegs hören, die meisten davon auf dem Smartphone, hat LastFM hier noch großen Nachholbedarf. Zwar ist auch die neue mobile Website optisch hübsch und schlank; jedoch stört hier ebenfalls die komplizierte Nutzung und der unbequeme Medienbruch zwischen Musik-App und LastFM.
Warum ist Spotify beliebter als LastFM?
Eigentlich ist es verwunderlich, dass der einstige Musikriese LastFM sich in der Popularität dem „Frischling“ Spotify geschlagen geben muss. Denn eigentlich stecken hinter beiden Portalen ähnliche Geschichten. Beide Portale wurden von musikbegeisterten, jungen Europäern gegründet, die der Welt legal das beste Musikerlebnis zur Verfügung stellen wollten.
Womöglich war es der Standort und der Zeitpunkt, der dem schwedischen Spotify letztendlich einen Vorteil verschaffte. Als Daniel Eks 2006 Spotify gründete und sich im Laufe der Folgejahre auf die Suche nach Kooperationspartnern für sein Freemium-Modell in der Musikbranche machte, lag der schwedische Musikmarkt dank Musikpiraterie am Boden. Die Labels dort hatten also in dem verhältnismäßig kleinen Markt nicht mehr viel zu verlieren. Die meiste Musik wurde eh schon illegal gestreamt, warum sie also nicht auch legal verfügbar machen? So konnte Spotify sein Konzept ausgiebig testen, bevor es ab 2009 langsam die großen Märkte in Europa und 2011 in den USA erfolgreich in Angriff nahm.
Dagegen hatte das in vielen Ländern etablierte LastFM sehr wohl etwas zu verlieren, da es in diesen Märkten bereits aktiv war. Ganz ähnlich die Musikindustrie in diesen Ländern. Vermutlich konnte LastFM im Streaming-Bereich einfach nicht genügend solide Erfolge vorweisen, um nachhaltige Lizenz-Deals mit Major-Labels einzutüten. Vielleicht hat CBS den Trend damals auch einfach verschlafen, bis die Konkurrenz irgendwann zu groß war. Doch ohne eigenes Streaming-Angebot hat LastFM einen entscheidenden Nachteil gegenüber Spotify. Wenn man sich seine Musiktipps nur über Umwege anhören kann, sind auch die besten Musikempfehlungen nur so sexy wie die Veranstaltungstipps aus der gedruckten Tageszeitung von gestern, gerade im mobilen Bereich.
Einstige Gründer basteln an LastFM-Evolution
Ein Teil des ursprünglichen LastFM-Gründerteams ist von der Bildfläche verschwunden. Nicht aber Felix Miller und Michael Stiksel. Der Deutsche und der Österreicher blieben nach dem Verkauf an CBS noch für zwei Jahre an Bord. 2009 verabschiedeten sie sich von LastFM in London und gingen ihre eigenen Wege. Wie sich herausstellte, wollten sie ihre ursprüngliche Idee, Nutzern genau das zu zeigen, was sie sehen möchten, nicht begraben. 2012 gaben die Unternehmer bekannt, gemeinsam in London an einem neuen Start-Up zu arbeiten, das 2013 live ging: Lumi.
Für Stiksel und Miller ist Lumi die Evolution von LastFM, dieses Mal nur für das ganze Internet. „Wir wollen beweisen, dass wir es noch einmal schaffen können“, erklärt Stiksel in einem Interview mit Mashable. Lumi analysiert die Browserverläufe und Twitter-Feeds der Nutzer und empfiehlt auf dieser Basis per Browser-Erweiterung Inhalte im Netz, die einem gefallen müssten. Aktuell arbeitet man laut Lumi-Blog an den entsprechenden Smartphone-Apps. Von der Idee her erinnert das Ganze entfernt an StumbleUpon.com – mit dem Unterschied, dass man bei Lumi gezielt mehrere passende Inhalte angezeigt bekommt, und nicht durch das Netz „stolpern“ muss.
LastFM – Auf zu neuen Märkten
Auch wenn die Konkurrenz trotz Integration durch Spotify und Co. riesig ist und an vielen Ecken Verbesserungsbedarf besteht, bleibt man bei LastFM anscheinend weiterhin vorsichtig optimistisch. „Wir stehen kurz vor einem großen Meilenstein, Scrobble Nr. 100 Milliarden“, schreibt Luke Fredberg, PR-Referent bei LastFM, auf Anfrage in einer E-Mail. Laut eigenen Angaben könne man aktuell pro Monat 20 Millionen Unique Users verzeichnen, so Fredberg weiter. Zusätzlich will man neue Märkte erschließen; erst kürzlich habe man eine Integration des in 20 Ländern aktiven Streaming-Dienstes Guvera bekanntgegeben, um auch in Schlüsselmärkten wie Indien und Australien Fuß fassen zu können, so Fredberg.
Alles in allem scheint LastFM im ganzen Rennen um die Musik-Hoheit im Netz wie der alte Plattenladen an der Ecke, mit dem dicken, bärtigen Händler hinter dem Tresen, der dich in und auswendig kennt und meistens die richtige Empfehlung parat hat. Den meisten Normalos ist der Einkauf dort zu unbequem, aber Nostalgiker und Liebhaber werden weiter daran festhalten.
Dieser Artikel ist zuerst am 2. März 2015 auf golem.de erschienen.
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