Es ist ein recht warmer Nachmittag Ende April. I Heart Sharks spielen heute Abend in Hamburg im neuen Molotow. Mit ihrer aktuellen Platte Anthems ist das Trio gerade auf Tour und begeistert sowohl Fans als auch Kritiker. Die bezeichnen sie als das Sprachrohr der Generation Y, ja sogar als Hipster Propheten. Ich treffe mich draußen neben dem Molotow mit dem ruhigen Frontmann Pierre Bee zum Interview, um herauszufinden, was wirklich hinter der Musik von I Heart Sharks steckt.
Die Bildzeitung hat Euch vor ein paar Wochen als „Hipster Propheten“ betitelt.
Pierre Bee: Ja, und dann sogar auch noch falsch geschrieben (lacht). Tja, das ist die Bild, die wollen immer sowas. Leute brauchen immer ihre Vergleiche und stecken Bands eben gerne in Schubladen. Wenn ihnen das hilft, finde ich das nicht schlimm. Dann sollen sie das gerne machen.
Ihr seid im Moment recht präsent in den Medien, gebt viele Interviews. Ich habe das Gefühl, dass sich da so ein kleiner Hype aufbaut. Wenn es so ist, wie geht ihr damit um? Wie findet Ihr das?
Pierre Bee: Oh nein, wirklich? Ok. Wir möchten kein Hype sein, das finden wir nicht gut. Ich glaube auch nicht, dass wir schon ein großes Hype-Thema waren. Vielleicht fühlt es sich aber wie ein kleiner Hype an, wenn man in der richtig Szene drinsteckt. Außerhalb ist das aber glücklicherweise nicht so krass. Und das ist auch gut so. Hypes können ja doch genauso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgekommen sind. Bei uns ist das dagegen in aller Ruhe gewachsen. Wir machen schon seit 2007 zusammen Musik.Es ist gut, wenn man sich langsam entwickelt und so dabei auf dem Weg viele Leute mitnehmen kann.
Ihr habt im März Euer zweites Album Anthems rausgebracht. Wie habt Ihr Euch im Vergleich zum Vorgänger Summer verändert und weiterentwickelt?
Pierre Bee: Es ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass seit dem letzten Album für uns wirklich zwei, fast drei Jahre vergangen sind. Für uns war das eine lange Reise, auf der wir immer geschrieben und geschrieben und uns weiterentwickelt haben. Einige Leute nehmen aber Summer von 2011, sehen direkt daneben Anthems von 2014 und finden es scheiße, dass wir jetzt angeblich urplötzlich Popmusik machen würden. Sie denken anscheinend, das sei alles über Nacht passiert. Aber zwei Jahre sind zwei Jahre. In der Zeit ändert sich jede Menge. Wir sind älter geworden und haben auf jeden Fall unser Songwriting verbessert. Wir können uns besser, vielleicht etwas runder ausdrücken und die Klänge erschaffen, die uns vorschweben. Im Vergleich zu Summer wirkt Anthems ein bisschen durchdachter und besser gearbeitet. Summer war sehr rau, sehr schnell, sehr brachial und irgendwo auch sehr naiv. Anthems ist dagegen viel erwachsener geworden.
Ich habe gelesen, dass Summer die großen Statements rausgehauen hat, während Anthems nun eher Geschichten erzählt. Welche Stories haben Euch da inspiriert?
Pierre Bee: Wir haben uns sowohl von realen als auch von fiktiven Geschichten inspirieren lassen. Da ist zum Beispiel der Song „Reykjavik“, bei dem uns der französische Film „Jeux d’enfants“ sehr beeinflusst hat.Im Film verstecken sich zwei Liebhaber auf einer Baustelle auf der Beton gegossen werden soll, damit sie für immer und ewig zusammen bleiben können. Das Bild fand ich sehr romantisch und gleichzeitig sehr tragisch, sodass ich unbedingt darüber schreiben wollte. In meiner Geschichte habe ich die Liebenden dann aber nach „Reykjavik“ geschickt. Dort bricht ein Vulkan aus, von dessen Asche das Paar dann bedeckt wird und so dort für immer bleibt. Das war zum Beispiel eine Geschichte die uns sehr beeinflusst hat. Aber es gibt auch Songs, die basieren auf Geschichten, die uns wirklich passiert sind. „Highrise“ zum Beispiel. Als wir in Manchester waren, habe ich mich dort in jemanden verliebt. Daraus entstand eine Liebesgeschichte irgendwo zwischen Manchester und Berlin. Es war mir sehr wichtig, darüber einen Song zu schreiben, weil mich das persönlich einfach sehr getroffen hat.
Ich finde Eure neuen Songs klingen beim ersten Hören zwar recht poppig, sind inhaltlich aber doch recht melancholisch. Woher kommt die Melancholie auf diesem Album?
Pierre Bee: Ich bin ein sehr melancholischer Mensch. Ich bin auch sehr nostalgisch und finde das auch gut so. Ich denke viel darüber nach, was man von mir hält oder was eine bestimmte Situation bedeutet – manchmal auch zu viel. Ein Lächeln oder ein Wort kann mich voll lange beschäftigen, ich grübele dann oft sehr lange über dessen Bedeutung. Ich bin da auf diese Art und Weise sehr sensibel. Man kann sich ja dazu entscheiden, nicht melancholisch zu sein. Ich entscheide mich aber für die Melancholie. Ich mag das ganz gerne.
Bist du denn auch hauptsächlich für die Songs verantwortlich oder schreibt ihr schon zusammen?
Pierre Bee: Simon und ich schreiben zusammen. Ab und zu holen wir uns dann noch jemanden dazu, mal einen Produzenten oder einen Freund von uns. Auf Anthems haben wir uns Henning Sommer von Wilhelm Tell Me aus Hamburg dazu geholt, der dann bei einigen Songs mitgeschrieben hat. Wir finden es total toll, auch mal mit anderen Künstlern zusammen zu arbeiten, aber meistens schreiben nur Simon und ich.
Was braucht ihr vom Gefühl her, um einen richtig guten Song zu schreiben?
Pierre Bee: Auf jeden Fall ein bisschen Schmerz und Melancholie. Dann wird er ganz gut. Ich glaube, es ist wichtig, zu den Leuten immer ehrlich zu sein und sie nicht mit irgendwelchen komischen Ideen auszutricksen.
Pierre Bee: Ja, wenn man zu gut zufrieden ist, kommen da nur selten wirklich gute Songs bei raus. Bands, die mit ihrer ersten Platte so richtig krass Erfolg hatten, machen meiner Meinung nach sehr oft eine richtig schlechte zweite Platte. Finde ich zumindest. Was man braucht um eine gute Platte zu machen, ist keine Zeit und kein Geld. Dann wird’s gut, meistens. Unsere erste Platte war jetzt ja nicht so gut oder vielmehr nicht so sehr erfolgreich, von daher ist jetzt alles gut (lacht).
Kommen wir noch mal zum Sound. Einige der Songs klingen sehr 80s-lastig. Vor ein paar Tagen habe ich noch „Sixteen Candles“ geguckt, und da hättet Ihr problemlos reingepasst.
Pierre Bee: Oh perfekt! Super! Ich bin ein großer Fan von „Sixteen Candles“. Wie cool!
Woher kommt die Leidenschaft für diesen Retro-Sound?
Pierre Bee: Wir finden die Achtziger einfach mega cool. Wie gesagt, wir sind sehr nostalgisch und sind von dem Ganzen total begeistert. Leider haben wir selbst gar nicht so viel Zeit in den Achtzigern verbracht. Wir sind alle so um 1988 herum geboren.
Was genau findet Ihr daran so cool?
Pierre Bee: Ich mag die Ästhetik der Filme, dass darin alles noch richtig übertrieben sein durfte. Und damals gab es noch eine richtige Popkultur. Heute gibt es die nicht mehr. Die Popkultur hat damals wirklich jeden beeinflusst, heute macht jeder sein eigenes Ding. Damals war die Popkultur so ein riesiger Trend, weil es viel weniger Kanäle gab, auf denen dann aber jeder die Sache verfolgt hat. Darüber waren die Leute dann gleich Teil einer großen Sache. Das finde ich ziemlich cool. Und dann ist da natürlich die Musik der Achtziger. Mit der bin ich aufgewachsen und höre das immer noch gerne. Simon übrigens auch.
Pierre Bee: Vorbilder würde ich jetzt nicht direkt sagen. Aber krass beeinflusst haben uns auf jeden Fall The Cure. Die finden wir großartig, weil die zwar richtig eingängig aber gleichzeitig auch richtig gut sind. Dann Depeche Mode ist auch auf jeden Fall viel dabei und dann natürlich all die anderen Sachen wir Joy Division, New Order, Prince, zumindest zu seinen guten Zeiten. Und Duran Duran mag ich auch ganz gerne. Duran Duran höre ich oft zu Hause, aber nur heimlich, so dass niemand das mitbekommt (grinst). Aber irgendwann werden die auch cool, da bin ich mir sicher.
Ich glaube auch. Ich kann mich noch daran erinnern, dass das bei uns zu meinen Kindergartenzeiten bei meinen Eltern oft im Autoradio lief.
Pierre Bee: Echt? Ich finde, es ist so richtig gut gemachte Musik. Aber wie bei Abba man darf nicht sagen, dass man das mag, weil es einfach nicht cool ist.
Das wird sicher irgendwann wieder cool 😉
Pierre Bee: Ja hoffentlich.
Kommen wir noch mal zum Albumtitel. Welche Bedeutung hat Anthems für Euch?
Pierre Bee: Der Titel ist vollkommen selbstironisch. Sein eigenes Album „Hymnen“ zu nennen, ist ja schon ziemlich arrogant und pompös. Aber das liegt an der Musik. Die Idee dahinter ist folgende:
Wir machen ja schon Musik, die einfach ernste Gefühle und Gedanken anspricht. Ich finde, wenn man wirklich ehrlich sein will, darf man in der Art, wie man die Inhalte transportiert, nicht zu ernst sein. Man muss immer ein Augenzwinkern oder etwas lustiges dabei haben, sonst wirkt es in meinen Augen nicht echt. Und nicht echt zu sein ist furchtbar. Für jede Träne muss es bei uns ein Lachen geben.
Ich musste beim Wort „Anthems“ direkt an die Zeile „Anthems of your Life“ denken. Was sind denn für dich bisher so die „Hymnen“ deines Lebens bzw. deiner Jugend?
Pierre Bee: Die sind wahrscheinlich mega peinlich. Aber es gibt schon Sachen, die ich immer noch gerne höre. Für mich verbinde ich Berlin zum Beispiel mit „Heartbeats“ von The Knife. Das habe ich sehr viel gehört, als ich damals 2007 dort hingezogen bin. Simon und ich haben The Knife wirklich sehr oft gehört. Jeder Song bedeutet für irgendjemanden irgendwas. Aber eine Hymne ist erst eine Hymne, wenn der Song für viele Leute das gleiche bedeutet. Wenn wir von Konzerten zurück fahren, kommen unsere Hymnen aktuell von The National. Das sind Songs, die wir gerne zusammen hören und uns in dem Moment zusammen etwas bedeuten. Das ist dann echt ganz toll.
Welchen Song von Anthems würdest du mir jetzt in diesem Moment von deinem Bauchgefühl her spontan als Anspieltipp geben?
Pierre Bee: Jetzt sofort? Oha. „Only Love“ wahrscheinlich. Das ist ein Song, der sich wirklich krass was traut, weil er sehr balladenmäßig und damit sehr weit von allem weg ist, was wir früher gemacht haben. Wir mussten sehr mutig sein, um den Song wirklich auf die Platte zu packen. Jetzt bin ich froh, dass wir es getan haben. Es ist sehr anders, aber darum liebe ich das Stück.
Wie wichtig ist es für Euch, beim Songschreiben Mut zu beweisen?
Pierre Bee: Musik zu machen, die eingängig und gleichzeitig cool ist, ist schon ein echter Drahtseilakt. Man läuft dabei schnell Gefahr im Kitsch zu landen, den dann niemand mehr hören will. Meiner Meinung gehört deshalb aber auch schon etwas Mut dazu zu sagen, wir machen den Song jetzt auch eingängig und nicht nur total cool. Denn nur cool ist auch langweilig, finde ich.
Zum Schluss möchte ich noch einmal zu diesem BILD-Interview zurück. Dort betitelt man Euch auch noch als das Sprachrohr der suchenden „Generation Maybe“ bzw. „Generation Y“. Wenn Ihr schon als Sprachrohr betitelt werdet, was würdest du der „suchenden Jugend“ raten?
Pierre Bee: Also auch wenn man mich als Sprachrohr bezeichnet, sollte die Jugend trotzdem nicht auf mich hören, weil ich ein Musiker bin und mein Leben in einem Tourbus verbringe. Aber wenn ich ihnen wirklich etwas raten würde, dann dass sie immer „ja“ oder „nein“ sagen können. Und wenn man zu einer Sache „ja“ sagt, sagt man auch „ja“ zu allem was dazu gehört. Dazu gehören Freud und Leid, Schmerz, Euphorie und all die guten Dinge. Deshalb würde ich ihnen immer raten „ja“ zu sagen, weil sie es später bereuen würden, nur aus Vernunft etwas nicht gemacht zu haben. Ich bereue nicht viel in meinem Leben. Aber die Sachen, die ich bereue, sind die Sachen, die ich nicht gemacht habe.
Das klingt sehr nach dem Inhalt Eurer Single „To Be Young“.
Pierre Bee: Ja genau, darum geht es in dem Song. „To Be Young“ fasst die Situation tatsächlich sehr gut zusammen.
I Heart Sharks live
I Heart Sharks könnt Ihr diesen Sommer noch auf diversen Festivals live erleben. Hier die aktuellen Tourdaten. Mehr Infos findet Ihr auch noch auf iheartsharks.net.
05.06.14 PADERBORN ASTA OPEN AIR
20.06.14 SOUTHSIDE/HURRICANE FESTIVAL
21.06.14 SOUTHSIDE/HURRICANE FESTIVAL
05.07.14 WOLFENBÜTTEL SUMMERTIME FESTIVAL
19.07.14 RATHENOW LAUT & BUNT FESTIVAL
20.07.14 REGENSBURG ZUCKERBROT & PEITSCHE FESTIVAL
25.07.14 FRANKFURT ODER HELENE BEACH FESTIVAL
01.08.14 TREBUR TREBUR OPEN AIR
28.08.14 ROSTOCK PANGEAFESTIVAL