Interview mit Marie Katzer: „Ich will gar nicht berühmt werden“

Sie ist Anfang 20, blond, liebenswert und alles andere als auf den Mund gefallen. Eigentlich steht Marie Katzer beim Osnabrücker Lokalsender os1.tv regelmäßig vor der Kamera. Auch ich habe schon das ein oder andere Interview oder Partytipps mit ihr zusammen gedreht. Doch Marie macht auch schon seit Jahren Musik. Seit einigen Monaten scheint sie das aufstrebende Sternchen in der Osnabrücker Musikszene zu sein, obwohl sie sich eigentlich gar nicht als Künstlerin sieht. Ich habe mit Marie ein bisschen über ihre Musik gequatscht und wie es denn so ist, plötzlich vor mehreren hundert Leuten eigene Songs zu spielen.

Marie, du singst und spielst Gitarre. Wie bist du überhaupt zur Musik gekommen?

Richtig zum ersten Mal auf die Bühne ging es für mich dann in der 7. Klasse. Eine Freundin von mir sollte mit der Schulband bei der Abitur-Entlassung singen, ist dann aber zwei Tage vor der Feier heiser geworden. Der Musiklehrer musste dann irgendwie Ersatz finden, und hat uns einfach alle einzeln ans Klavier gestellt und vorsingen lassen. Ich hatte bis dahin noch nie gesungen, das ist mir auch überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Als ich dann dran war, hat der Lehrer nur gelacht und gefragt, warum ich denn nicht früher schon mal was gesagt hätte.

So hatte ich dann meinen allerersten richtigen Auftritt gleich vor 600 Leuten. Ich war 14, trug einen knielangen, roten Flatterrock, ein schwarzes H&M und ein schwarzes Haarband. Und ich habe mir fast in die Hose gemacht, so nervös war ich.

Du hast mit 6 angefangen Keyboard zu spielen. Wie bist du dann zur Gitarre gekommen?

Keyboard war mir mit 13 dann zu uncool. Das machen auch irgendwelche alten DJs auf Zeltfeten. Zur Gitarre bin ich gekommen, weil ich etwas spielen wollte, mit dem ich mich selbst auch begleiten kann, wenn ich mal in keiner Band spiele. Also habe ich dann erst mal mit E-Bass angefangen. Den habe ich mir mit 14 von meinem Konfirmationsgeld gekauft. Ein schwarzer Yamaha-Bass und ein Roland-Kofferverstärker.


Wie bist du dazu gekommen, Songs zu schreiben?

Die Trennung von meinem ersten Freund hat mich dazu gebracht. Wir waren drei Jahre zusammen und die Trennung war, nun ja, nicht so schön. Ich habe ziemlich lange gebraucht, das alles zu verarbeiten und saß eines Tages zu Hause, allein, und die alte Gitarre meiner Schwester stand einfach da. Ich habe ein wenig darauf rumgeklimpert. Mal nicht auf meinem Bass, mal nicht mit Verstärker und alles ein bisschen weniger laut. Ich habe dabei das Gefühl gehabt, das alles jetzt mal rauslassen zu müssen, ohne jemanden damit voll zu quatschen, ohne meine Freundinnen damit fett zu labern oder ihn schon wieder anzurufen oder ihm SMS zu schreiben. Eigentlich habe ich dann nur all das aufgeschrieben, was ich in dem Moment gefühlt habe. Daraus ist dann der Song „Caught in a Timewarp“ entstanden. Das war so ein rundes Ding und hat alles so perfekt wiedergegeben, die ganze Situation. Den Song spiele ich auch heute noch, weil er mir immer noch so gut gefällt und darin alles so gut zusammenpasst.

Schreibst du deine Songs immer so?

Ja. Ich kann mich nicht einfach hinsetzen und sagen, jo, ich hab morgen einen Auftritt und will jetzt noch was Geiles raushauen. Das Songschreiben geht nur, wenn ich wirklich ganz traurig bin. Oder vollkommen glücklich. Das ganze braucht auch immer seine Zeit und ich muss dabei meinen Kopf komplett leer schreiben.

Also geht es in deinen Songs hauptsächlich um das Gefühlschaos in deinem Kopf?

Ja genau, so kann man das sehr gut beschreiben. Man trägt ja immer vieles mit sich herum. Gefühle, Zukunftsängste, was passiert nach der Ausbildung, wo will ich mal landen. Das ist immer ganz guter Schreibstoff. Aber ich lasse mich auch von den Ereignissen in meinem Umfeld inspirieren. Bei „Saddest Girl in the World“ geht es zum Beispiel darum, wenn da jemand ist, der als Freundin von einem Kumpel neu in den Freundeskreis gekommen ist, bei allen Partys, Geburtstagen und Veranstaltungen dabei war, und dann plötzlich ganz alleine dasteht, wenn sie miteinander Schluss machen. Man bleibt natürlich auf der Seite des Kumpels, aber wenn man das dann mal reflektiert, wie es der anderen Person gehen muss. Wenn man sich nicht mehr grüßt und sich vollkommen ignoriert. Das ist schon heftig.

Wo willst du mit deiner Musik hin?

Ich bin damit gerade vollkommen überfordert.

Warum?

Das geht gerade alles so schnell und ist total abgefahren. Beim Singer Songwriter Slam in der Lagerhalle, da habe ich mich erst am gleichen Tag angemeldet. Ich habe da zum Spaß mit gemacht und ein Song, das würde ich schon schaffen. Nur dann ist das Publikum völlig ausgeflippt. Ich hatte nicht mal einen zweiten Song vorbereitet, weil ich im Leben nicht damit gerechnet habe, sofort eine Runde weiter zu kommen. Und dann gleich dritte im Finale. Das ist einfach krass, zu realisieren, dass da wirklich viele Menschen sind, die wegen deiner Musik kommen dich als Person eigentlich gar nicht kennen. Da muss man plötzlich seinen Youtube Channel wieder an den Start kriegen, über eine Homepage nachdenken, neue Musik schreiben. Und wenn man dann auch noch Stress im Job hat, nicht zum Proben kommt, aber der ganzen Sache nun mit einer anderen Ernsthaftigkeit begegnen will, das ist nicht einfach.

Was ist seit dem Singer Songwriter Slam alles passiert?

Ich von Martina von der Lagerhalle gefragt worden, ob ich bei den Street Beats Konzerten spielen möchte. Das ist schon mal eine ganz andere Kiste, 45 Minuten lang ganz allein aufzutreten. Die Leute sind wegen dir da und du musst die Zeit auch füllen. So viele Songs habe ich fast gar nicht gehabt. Es hat ganz knapp gereicht, aber ich hätte auch wirklich keine andere Zugabe mehr spielen können, weil mein Repertoire vollkommen ausgeschöpft war. Daraufhin ist Manuel von North Alone auf mich zugekommen, ob ich ihn nicht im Museum für Industriekultur und bei seiner Release Party im Trash supporten will, und die Mädels von Two Hearts in Ten Bands haben auch direkt angeklopft.

Wie geht es dir damit, plötzlich auf Bühnen zu stehen, wo du sonst selbst Konzerte anguckst?

Das ist alles schon ziemlich krass. Jetzt so im Museum für Industriekultur oder im Trash zu spielen, ist eine Sache, aber dann am 19. September im Glanz & Gloria auf der Bühne zu stehen, wo ich sonst ja auch mal feiern gehe und selbst Konzerte besuche, das ist für mich noch völlig abgefahren. Ich kann auch gar nicht sagen, was da jetzt noch kommt, weil mich das einfach noch echt platt macht.

Was ist das für ein Gefühl, zu wissen, die Leute kommen jetzt allein wegen deiner Musik?

Das kann ich gar nicht in Worte fassen. Ich bin da noch etwas überfordert. Auf der Bühne zu reden und Geschichten zu den Songs zu erzählen, überfordert mich auch total. Das kann ich gar nicht. Ich versuche dann immer auf meinen Charme zu setzen und die Leute irgendwie zum Lachen zu bringen. Und das mit all meinen traurigen Songs. Irgendwann wird sich das hoffentlich ändern, denn ich bin ja kein trauriger Mensch. Und ich will auch nicht, dass die Leute das von mir denken. Das ist schon ein bisschen schwierig.

Woher kommt deine „Sprachlosigkeit“ auf der Bühne?

Mit dem auf der Bühne stehen selbst kann ich eigentlich ganz gut umgehen, denn bei meinem Job ist das ja ganz ähnlich. Keine Ahnung, wie viele Leute mich im Fernsehen sehen, aber da kann ich ja auch gut drauf quatschen. Nur quatschen in Kombination mit meiner Musik, das funktioniert irgendwie einfach nicht, weil ich so nervös bin und ich mich auch noch gar nicht als Musiker oder Künstler in dem Sinne sehe. Mit dem Gedanken muss ich mich erst noch anfreunden.

Was fehlt dir noch, damit du dich mit dem Gedanken anfreunden kannst?

Das weiß ich gar nicht. Jeder ist in seinem Leben ja an einem Punkt, an dem man sagen kann: Das bin ich jetzt. Und wenn Chuck Ragan damals seine Gitarre in die Hand genommen und Hot Water Music gegründet hat, dann war das für ihn eine beschlossene Sache. Danach folgte dann der entsprechende Entwicklungsprozess. Nur dadurch, dass ich nie gesagt habe, so ich bin jetzt Musikerin und ich will jetzt meine Karriere starten, ist das alles so irreal. Ich musste mich bisher um nichts kümmern, keine Leute explizit wegen Konzerten anschreiben. Gerade kommt alles von alleine. Mit dem Gedanken anfreunden kann ich mich vielleicht, sobald ich meine erste eigene CD in den Händen halte und beim Konzert sagen kann, ich bin Marie Katzer und ihr könnt meine Musik übrigens kaufen. Und wenn man dann noch vielleicht Aufkleber und T-Shirts macht, dann habe ich das, glaube ich, erst greifbar. Oder vielleicht schon, sobald ich eine Stunde Programm füllen kann, ohne mich zu wiederholen. Drei, vier perfektionierte Songs fehlen mir also noch bis ich sagen kann „ich bin jetzt ein Musiker und mache ein bisschen was damit“.

Also wird es eine CD geben?

Ja, wird es. Ich habe zwar keine Ahnung wann, weil ich nicht weiß, wie lange der Prozess dauert. Aber Micha, der Schlagzeuger von Mr. Cracker, möchte ein Album mit mir aufnehmen.

Wie lange brauchst du, um einen Song rund zu machen?

„Caught in a Timewarp“ hat nur eine Stunde gedauert. Da ist es echt aus mir rausgesprudelt, beim Spielen habe ich angefangen zu heulen. Und andere Lieder liegen auch noch unfertig da. Die habe ich vor Monaten angefangen und komme nicht weiter. Ich weiß genau was ich singen will und wie ich es rüberbringen will, aber mir fehlen teilweise einfach die Worte um genau das zu beschreiben, was ich fühle. Für meinen neuen Freund Rene traue ich mich gar nicht, etwas zu schreiben, weil ich Angst habe, meinen Gefühlen mit Worten da gar nicht gerecht werden zu können. Und so nimmt man sich die Stücke, guckt hin und wieder mal drauf, bastelt rum und legt sie zurück in die Schublade. Das dauert teilweise richtig lange, weil die Stücke oft einen ziemlich krassen Entwicklungsprozess durchlaufen.

Du hast vorhin erzählt, dass du noch nicht so richtig weißt, wo die Reise im nächsten Jahr hingehen soll. Was wäre denn dein Traum, wenn du freie Wahl hättest?

Dann hätte ich gerne nächstes Jahr nach meiner Ausbildung eine Cellistin, einen Mann am Piano und einen Gitarristen. Ich hätte eine kleine Band und würde nach der Ausbildung vielleicht wirklich einfach mal ein Jahr lang nur Musik machen. Auch egal wo. Ich will gar nicht auf große Bühnen, ich will auch gar nicht berühmt werden. Vor allen Dingen will ich nicht durchs Land reisen und Konzerte spielen, weil das für mich gerade noch gar nicht in Frage kommt. Cool wäre, wenn das mit der Moderationskarriere weiterlaufen könnte. Und noch cooler ist dann natürlich, wenn man in der Musikbranche bleiben kann, weil man selbst ein gewisses Grundwissen hat. Das Optimum wäre dann drei Tage die Woche als Moderatorin bei einem Musiksender zu arbeiten und den Rest der Zeit kleine Konzerte bei Privatveranstaltungen und Galas zu spielen. In Villen in Hamburg. Oder in Eppendorf (lacht).

Marie spielt am 19. September als Support von Two Hearts in Ten Bands im Glanz und Gloria in Osnabrück. Alle Infos hier.

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