Ein schöner Abend. Das TV Noir Wohnzimmer war mal wieder auf Tour und hat auch in Osnabrück im Haus der Jugend Station gemacht. Dieses Mal konnten die Gegensätze auf der Bühne kaum krasser sein: Ein unglaublich gelassener Enno Bunger teilte sich die Bühne mit Me and My Drummer – und damit mit der aufmüpfigen Frontfrau Charlotte Brandi.
Ostfriesischer Ruhepol trifft auf schlecht gelaunte Berliner Großstadtgöre. So oder so ähnlich könnte man den Abend zusammenfassen. Enno Bunger beginnt den Abend sehr ruhig und melancholisch. Ich finde es mutig, direkt im ersten Stück von Abschied zu singen, genauer gesagt, von den Abschiedszeilen im Abspann. Aber andererseits könnte der Abend kaum passender beginnen, schließlich habe ich erst knapp eine Stunde vor dem Konzert bei Facebook gelesen, dass Enno etwas Neues wagen möchte, seine jetzige Band aufgelöst wird und sie insgesamt nur noch 19 Konzerte zusammen spielen werden. Das ist allerdings eine andere Geschichte.
Trotzdem liegt auch heute bei Enno Bunger der Fokus auf Abschiedssongs aus dem 2012er Album Wir sind vorbei. Während Me and My Drummer im Hintergrund mit ihrem Weinchen in der Hand gemütlich auf der TV-Noir-Wohnzimmer Couch herumlungern und auf ihren Einsatz warten, verbreitet Enno am Piano zusammen mit Onno an der Akustikgitarre (ob dieser nun wirklich so heißt, darf vermutlich bezweifelt werden) Gänsehautstimmung mit purer Melancholie. Die deutschsprachigen Texte erzählen vom Verlassen und Verlassen werden, gefundenem und verlorenem Glück und anderen traurig tragischen Alltagsbegebenheiten. Mit seinen teilweise recht flachen Wortwitzen trifft der Wahl-Hamburger den Humor des Publikums und sammelt durch seine unbeschwerte Art jede Menge Sympathiepunkte im Haus der Jugend.
Im Wechselschritt geht es weiter. Me and My Drummer sind an der Reihe. Nach drei sehr intensiven Songs voller „Wir haben uns alle furchtbar lieb“-Atmosphäre muss man sich an den Auftritt der Berliner Indie/DreamPop-Band erst gewöhnen. Nicht nur wirkt die Musik nach Enno Bungers sanften Singer/Songwriter-Weisen im Vergleich wie von einem anderen Stern, auch der rüde, regelrecht schlecht gelaunte Auftritt von Frontfrau Charlotte Brandi sorgt zunächst im Publikum viele irritierte Gesichter. Dafür legt sich die junge Dame mit der düsteren Mine voll ins Zeug und katapultiert anscheinend sämtliche Emotionen hinein in ihre Performance. Zwischen den Stücken wird der FOH-Mann angeraunzt, das Publikum kaum eines (freundlichen) Blickes bedacht. „Na die hat ja gute Laune,“ kommentieren einige Zuschauer in meiner Sitzreihe fast schon beunruhigt. Nach dem ersten Me and My Drummer-Block hat man fast das Gefühl, das Publikum sei geradezu erleichtert, dass Enno Bunger wieder an der Reihe ist. In Osnabrück ist man so viel Großstadtattitüde eben nicht gewohnt.
Enno macht so weiter wie bisher, moderiert mit dem Schalk und den flachen Wortwitzen im Nacken weiter was das Zeug hält. Im Gegenzug raunzt Charlotte bei ihrem nächsten Block dem Saal entgegen: „Es ist wohl für alle gerade besser, wenn ich heute nicht moderiere“ und spielt sich, dieses Mal dick in ihrem Wintermantel eingemummelt, weiter patzig durch ihr nächstes, musikalisch beeindruckendes Miniset. Ob die Nervosität oder der Rotwein Schuld waren, man weiß es nicht. Vielleicht war ihr auch nur kalt. Im Saal zieht es nämlich tatsächlich wie Hechtsuppe. Mit ihrer ganzen angestauten Wut und gleichzeitig so poppigen Musik ergibt sie für mich eine verrückte Symbiose aus Kate Nash, Amanda Palmer und Katie Melua auf einem 80s-Trip.
Anscheinend schlägt die über ihre Art irritierte Stimmung aus dem Publikum schließlich auch auf der Bühne auf. Charlotte Brandi taut etwas auf und erklärt sich: Ja, sie sei gerade wütend. Aber sind findet es ungerecht, wie wütende Frauen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Steht eine Frau wütend auf einer Bühne, werde sie gleich als zickig wahrgenommen. Steht ein wütender Typ auf der Bühne, sei das eben einfach so. Mit in die Luft gereckter Faust fordert sie die Musiker-Emanzipation: „Wütende Frauen ans Klavier, nette Jungs auf die Couch!“ Dafür erntet sie johlenden Beifall vom Publikum und ein fettes Grinsen von Enno Bunger, der, wie soll es anders sein, gerade auf der Couch sitzt. Spätestens jetzt ist auch endlich das Eis zwischen Brandi und den Zuschauern gebrochen. Na also, so böse ist die Frau doch gar nicht.
Das Wechselspiel aus ostfriesischer Gelassenheit und weiblicher Wut entwickelt sich zum puren Entertainment und beide Künstler-Duos laufen zu musikalischer Höchstform auf. Gemeinsame Songs und gegenseitige Verstärkung stehen in der zweiten Hälfte des Abends immer wieder auf dem Plan. Zwei besondere Highlights sind jedoch wieder zwei Solo-Nummern. Enno Bunger trifft das Publikum mit einer berührenden Coverversion eines Element of Crime-Klassikers mitten ins Herz und auch Me and My Drummer sorgen mit dem Stück „Phobia“ für jede Menge Gänsehautattacken. Welch Ironie, dass Charlotte Brandi diesen Song angeblich für Britney Spears geschrieben hat. Manchmal glaube ich darin tatsächlich ganz weit entfernte Ähnlichkeiten mit dem düster bittersüßen Spears-Song „Everytime“ zu erkennen. Aber wahrscheinlich bilde ich mir das auch nur ein.
Fazit des Abends nach gut zwei Stunden Konzert mit einer überaus intimen Zugabe, sowohl von Enno Bunger als auch von Me and My Drummer: TV Noir ist immer eine Reise Wert. Charlotte Brandi ist viel sympathischer, als sie anfangs auf der Bühne wirkte. Me and My Drummer ist ein faszinierendes Duo. Enno Bunger ist der Held der Flachwitze – ohne selbst dabei flach zu wirken. In meinem CD-Regal stehen nun zwei neue Platten: Fünfzehn Knaller aus der TV-Noir-Sampler-Reihe und The Hawk, The Beak, The Prey von Me and My Drummer. (Das Enno Bunger Album habe ich schon)
(Entschuldigt die schlechte Bildqualität – so ganz spontan war nur das iPhone am Start)