Doro (26) gibt zu, sie ist süchtig. Nicht etwa nach Internet, Schokolade, Alkohol oder Zigaretten. Nein, ihre Droge ist Live-Musik.
Konzerte sind wahrlich nichts ungewöhnliches. Früher, so erzählt Doro, war sie auch auf höchstens 5 Konzerten im Jahr. Die bei denen sie selber auf der Bühne stand mitgezählt. Dann begann irgendwann der Wahnsinn. Aus einem Konzert im halben Jahr wurde ein Konzert pro Monat, später pro Woche und zu ganz extremen Zeiten auch schon mal pro Tag. Allein seit Anfang 2006 war Doro auf rund 200 Konzerten und Festivals in ganz Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz. Der Tacho ihres Autos behauptet, dass sie alleine für die Konzerte um die 60.000 Kilometer zurück gelegt haben muss. Es könnten auch mehr sein. Doro gibt zu, dass sie inzwischen den Überblick verloren hat.
Aus Doros Sicht ist an alledem wahrscheinlich ihre Tante Schuld. Die schusterte ihr 1998 VIP-Pässe für die Bravo-Super-Show zu und ließ sie damit zum ersten mal „Backstage-Blut“ lecken. Doro wollte mehr. Sofort. Aber auch Tanten können nur einmal im Leben zaubern. Also musste sie warten.
Bis 2006. Da hielt Doro es einfach nicht mehr aus in ihrem kleinen Pfälzer Uni-Kaff und musste dringend mal raus. Ausbrechen. Weg. Den Kopf freimachen. Mit einer Freundin fuhr sie ziellos durch Karlsruhe und landete zufällig am Substage. „Der Club war kurz zuvor von einer großen Musikzeitschrift zu einem der 50 besten Live-Clubs in Deutschland gekürt worden“, so Doro. „Auf gut Glück gingen wir rein.“
Drinnen bereitete sich gerade eine damals noch recht unbekannte Hamburger Band auf ihren Auftritt vor und bretterte kurz darauf derart los, dass Doro zum ersten Mal seit Jahren der Mund offen stehen blieb. „Zugegeben, die Texte waren etwas platt, aber dafür umso ehrlicher. Die Gitarren waren unglaublich laut, die Jungs hatten meinen norddeutschen Humor und sie sprachen mir einfach aus der Seele,“ erzählt Doro. Eingehüllt in die Klangwände konnte sie für 2 Stunden die ganze Welt um sich herum vergessen. Ihr einziger Gedanke: „Endlich frei!“
Diesem unbeschreiblichen Freiheitsgefühl jagt sie seither nach. Mal treibt es sie dafür in riesige Stadien in Deutschlands Metropolen, dann wieder in winzige Clubs oder auf Festivals im Nirgendwo. Mal steht auf der Bühne ein internationaler Top-Act, dann wieder eine Lokalband, die Doro irgendwo im Internet entdeckt hat. Manchmal ist es auch wieder die Hamburger Band, die sie damals „angefixt“ hat.
Doro ist damit nicht alleine. Auf ihren Trips quer durch Deutschland hat die Studentin viele Leute kennen gelernt, denen es genauso geht wie ihr. Manche von diesen Leuten stehen dabei auch auf der Bühne. Andere dahinter. „Wir sind wie eine große, verrückte Familie, die ihren Jahresurlaub lieber „auf Tour“ in kleinen verrauchten Clubs oder auf Festivals verbringt als mit Pauschaltourismus auf Mallorca,“ erklärt Doro. „14 Tage, 11 Konzerte. Der Weg ist das Ziel.“
TOP 5 Anzeichen, dass du Konzertsüchtig bist:
5. Du findest wirklich überall bei dir Ohrstöpsel, in jeder Form und Farbe.
4. In deiner Geldbörse sind mehr alte Konzertkarten als Geldscheine.
3. Die häufigste Suchanfrage auf deinem PC ist «Gewinnspiel Tickets für „Lieblingsbands“».
2. Für dich sind Entfernungen relativ. Bis 200 Kilometer ist für ein Konzert um die Ecke, bis 500 Kilometer ist normal und weit fängt erst ab 600 Kilometern an.
1. Du richtest deinen Einsatzplan auf der Arbeit oder deinen Uni-Seminarplan nach den Tourdaten deiner Lieblingsbands.
TOP 5 Anzeichen, dass du auf zu viele Konzerte gehst:
5. Du kannst den Bands in fast jedem Club erklären wo die Toiletten sind oder wie sie zurück ins Backstage kommen.
4. Die Mercher (T-Shirt-Verkäufer) passen während der Show bereitwillig auf deine Tasche und deine Jacke auf, und leihen dir schon mal Klamotten falls dir kalt ist.
3. Die Security-Firmen begrüßen dich öfters mit „Ach, warst du nicht vorgestern schon hier?“
2. Die Crew der Band bittet dich, für den nächsten Tag die Besorgungen zu machen.
1. Die Band fragt dich nach der Show, wo genau sie am nächsten Tag spielt.
Foto: Katharina Leuck
Anmerkung: Dieser Artikel ist u.a. am 03.05.2010 in Ausgabe Nr. 16 von blue, dem Jugendmagazin der Neuen Osnabrücker Zeitung erschienen (Print & Online).