Vor lauter Adventskalender-Videos vergesse ich hier schon fast das Wesentliche im Blog. Die Konzertberichte. Letzte Woche war ich im Auftrag der Neuen Osnabrücker Zeitung im Hyde Park bei K.I.Z. und durfte Zeuge einer massiven Weltuntergangsparty werden.
Zu K.I.Z. habe ich eine etwas zwiegespaltene Beziehung. Schon immer. Einerseits finde ich die Idee der satirischen Gesellschaftskritik hervorragend. Andererseits war mir die Band bisher auch immer relativ suspekt, denn bei vielen ihrer Texte frage ich mich heute noch, ob die Fans die Ironie darin überhaupt erkennen. Und natürlich ist es leicht, etwas den Ironie-Stempel aufzudrücken. Die Texte ausdenken muss sich da allerdings trotzdem noch jemand. Und für solche Bilder muss man schon ein gewisses Maß an, ja, Fantasie mitbringen, die etwas neben „der Norm“ liegt. Soviel zu meiner persönlichen Vorgeschichte.
Folgende Zeilen habe ich am Sonntagmorgen nach dem Konzert geschrieben:
Hurra, die Welt geht unter!
K.I.Z. verwandeln den Osnabrücker Hyde Park in eine ekstatische Weltuntergangspartyleu Osnabrück. Crowdsurfer, Pogo, Moshpit. Es gibt kaum eine deutsche Rap-Formation, die derart provokant den Punk ins HipHop-Publikum bringt wie K.I.Z.. Am Samstagabend haben die Rüpel-Rapper den ausverkauften Hyde Park in Osnabrück in eine satirisch brodelnde Weltuntergangsparty am Rande der Ekstase verwandelt.
Samstagabend, kurz vor 21 Uhr. Dicke Bässe lassen den Hyde Park vibrieren. Vor ihren pompösen, 3m hohen Ebenbildern und einem als Panzer verkleideten DJ-Pult fordern die K.I.Z.-Rapper Nico, Maxim und Tarek in militärisch anmutenden, schwarzen Uniformen lautstark „Urlaub fürs Gehirn“. Die Masse im Hyde Park tobt, als die Band sich selbst großspurig feiert, ankündigt, sich auf der Bühne mit Champagner zu besaufen und dabei das Publikum immer wieder provoziert und anpöbelt. Hier ist eben alles erlaubt, schließlich kann man nur einmal den Weltuntergang feiern. Getreu dem Tour-Motto „Hurra, die Welt geht unter“.
K.I.Z. provozieren. K.I.Z. polarisieren. Gnadenlos. Ihre drastisch formulierten Texte stecken augenscheinlich voller Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung wundbar satirische Gesellschaftskritik mit hohem künstlerischem Gewicht; für die anderen sind sie einfach nur pervers und abartig. Zugegeben, man darf als Konzertbesucher wirklich nicht gerade zart besaitet oder voreingenommen sein, wenn man den Abend unbeschadet überstehen will. Nirgendwo anders wird man an einem einzigen Abend unter anderem so oft die Wörter Hurensohn und ficken aus so vielen gut gelaunten Kehlen gleichzeitig hören. Kaum irgendwo sonst wird man eine „Geburt“ auf der Bühne erleben. Zum Song „Käfigbett“ schält sich Rapper Maxim blutverschmiert und nackt bis auf eine Windel aus einer überdimensionalen Scheide.
K.I.Z., die Kannibalen in Zivil, machen mit ihrer Kritik vor keinem Thema und keiner gesellschaftlich eingefahrenen Verhaltensweise halt. Politik, Homophobie, Ausländerhass, Krieg, Mord, Sex, Missbrauch. Mal in Zungenbrecher-Raps zu harten Beats und Bässen, mal in balladeske Stadiongesänge verpackt, feuern K.I.Z. dem Hyde Park eine explosive Salve aus Zynismus, Satire, dunkelschwarzem Humor und Ironie entgegen. Ihre frechen Fäkal-Kommentare, von denen „Osna, man sagt Ihr kennt kein Klopapier und keine Seife!“ noch die harmlosesten sind, machen sie auf groteske Art sympathisch. Beim Weltuntergang gelten nunmal andere Regeln. Es regnet Falschgeld, das Publikum wird mit Konfettikanonen in Maschinengewehr-Optik beschossen. Die Menge grölt jede noch so provokant extreme Textzeile frenetisch mit und pogt für K.I.Z. auch unaufgefordert so heftig, dass manche Punkband vor Neid erblassen würde.
Über zwei Stunden dauert die Party zum vermeintlich bevorstehenden Ende der Welt. Ihren krönenden Abschluss findet sie in der Zugabe mit dem Song „Hurensohn“, dessen Refrain das Publikum schunkelnd und mit strahlenden Augen zur Melodie von Michael Jackson’s „We are the World“ immer weiter grölt. Da haben K.I.Z. aber schon lange die Bühne verlassen.
Hinter diesem Text stehe ich immer noch. Ich möchte ergänzen, dass es mich fasziniert, wie das Publikum bei diesem Konzert regelrecht zum Teil einer großen künstlerischen Performance wurde. Ohne das Publikum und seine Reaktionen wäre das Konzert nur halb so interessant gewesen. Ich weiß immer noch nicht, ob ich K.I.Z. nun großartig finden soll oder nicht. Fest steht, dass sie es schaffen, mit ihren Lyrics immer mindestens auf einen großen Zeh zu trampeln. Immer gerade so viel, dass es weh tut und man peinlich berührt ist. Aber im Boden versinken muss man noch nicht. Eine Selbsterfahrung.