Die Tage des Glanz & Gloria in Osnabrück sind gezählt. Dieses Mal wirklich. Mit dem kleinen Kellerclub verliert die Stadt in der Nacht zum 1. Mai nicht nur einfach einen Club, sondern einen Teil authentischer, rauchiger, liebenswerter, strubbelhaariger Nachtkultur. Und noch viel mehr.
Mit kaum einem Club in Osnabrück verbinde ich so viele Erinnerungen, wie mit dem Glanz & Gloria. Nach einem emotionalen (hoffentlich vor)letzten Besuch vergangene Woche, habe ich lange wach gelegen und sinniert, wie man einem schließenden Club wohl am besten Lebewohl sagt. Aus meinen wirren Gedanken und sentimentalen Erinnerungsfetzen ist schließlich dieser Abschiedsbrief entstanden.
„Liebes Glanz“ – Mein Abschiedsbrief
Das war es dann also. Es ist Mittwoch gegen Mitternacht. Es soll eine der letzten Nächte sein, in der du einige hundert junge und junggebliebene Menschen, Studenten und Möchtegern-Hipster, Bauernvolk aus dem Landkreis und heimliche Thirty-Somethings in deine Untiefen saugst. In wenigen Tagen wirst du schließen. Dieses Mal wirklich, ganz in echt. Vermutlich für immer. Bei diesem Gedanken macht es sich ein dicker, fetter Kloß unweigerlich in meinem Hals gemütlich. Du entsprichst angeblich nicht mehr den aktuellen Baurichtlinien. Brandschutz. Übertriebene Umbaukosten. So stand es jedenfalls in der Zeitung.
Ich schiebe den Gedanken und den Kloß beiseite und lasse mich noch einmal in deinen Bann ziehen. Mit ein paar Freunden und flüchtigen Bekannten stolpere ich laut lachend die Stufen zu deiner Eingangstür hinunter, versuche mein leicht benebeltes Hirn für den Türsteher zu sammeln und überlege schnell, wie viel Eintritt ich hinter der alten, schweren, quietschenden Eichentür mit den verschmierten Glaselementen heute wohl zu zahlen haben werde. Nichts. Stimmt, es ist ja Mittwoch. Endlich Wochenende.
Für die verhältnismäßig frühe Stunde ist es auf der Tanzfläche brechend voll. Deichkind wechseln sich mit den Killers ab, irgendwo tanzt Casper dazu durch sein Hinterland, Kraftklub mokieren sich über ihre Mainstream Fans und Seeed lassen die Ladies ihren Speck schütteln. Mit meinen Bekannten lasse ich mich vom Beat auf dem ehemaligen Restaurant-Parkett hin und her schieben und muss beim Anblick der dicken, alten Holzvertäfelung an all die schönen, traurigen, lustigen, verzweifelten und absurden Momente denken, die sich hier für mich in die Maserung des dunkelbraunen Holzes und in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Durchtanzte Nächte mit gefühlten zwei Litern selbstgemischten Mexikanern im Blut. Gefundene, noch fast volle Verzehrkarten. Einen der letzten Abende, die ich mit meiner Kindergartenfreundin verfeierte, bevor sie später Mama wurde. Unverhofft ausgegebene Drinks. Ein ungeplanter Absturz mit einem unbekannten blonden Lockenkopf. Laut meiner damals anwesenden Freundinnen war er angeblich garantiert verheiratet. Oder waren das die Mexikaner? Die Wahrheit hast du, liebes Glanz, uns niemals verraten.
In dir war uns alles egal. Wir glänzten. Mal alleine, mal mit dir um die Wette. Manchmal mitten in der Woche oder jeden Tag am Wochenende. Schwerelos, bis irgendwann bei Tagesanbruch das gnadenlose Neonlicht anging und wir durch den frischen Neuschnee oder mit der aufgehenden Sonne im Rücken nach Hause wandern mussten.
In dir sang ich Karaoke, mal krumm und schief mit Freundinnen, dann wieder allein. Dabei wurde ich für kurze Momente zu einer kleinen Taylor Swift, die auf der Suche nach ihrem Romeo war oder heimlich irgendeinen Kerl davon überzeugen wollte, dass er sie, das liebe Mädchen von nebenan, und nicht die aufmüpfige Cheerleader-Tussi nehmen sollte. Dann schüchterne, erste Küsse um fünf Uhr morgens in der Sitzecke des Raucherraums, diskret verschleiert vom gefühlt undurchdringlichen Dunst der Zigaretten. Ganz ohne Taylor.
Ob geplant gestylt ungestyltes Schaulaufen oder spontane Glanz-Auftritte – immer wieder machtest du deinem Namen alle Ehre. Immer fand man in dir irgendwo die Bretter, die die Welt bedeuten. Deine kleine Clubbühne ließ unbekannte Bands auf dem Weg nach oben (z.B. Kraftklub) ein bisschen große weite Welt schnuppern… oder fing kleinere wieder auf, wenn das Major-Label sie dann doch vom Roster gekickt hatte. In dir führte ich mein erstes offiziell produziertes Video-Interview – mit Kraftklub. Während vieler Parties verirrte sich hier oben so mancher auf heimliche Dates mit seinem inneren Rockstar, der verloren gegangenen Entertainerin und manchmal auch mit der zuvor gänzlich unbekannten inneren GoGo-Tänzerin.
Du gabst uns einen Ort des Ausbruchs. Einen Ort, an dem wir zwischendurch unseren wohlgepflegten (und teils auch von deinen DJs beeinflussten) alternativen Musikgeschmack für einen Abend vergessen und schamlos unserer 90er-Kindheit frönen konnten. Musikalisch Vollgas, mit 90 vor die Wand. Wenn ich mir dazu dann auch noch beflügelt von Wein und Longdrinks unter großem Kichern beim DJ Songs von Caught in the Act wünschte, konnte ich mir sicher sein, dass dieser sie innerhalb der nächsten Stunde spielen würde. Plötzlich waren wir dann wieder 13, hoffnungslos verliebt und versprachen uns gackernd gegenseitig, beim nächsten Mal die alten Plateau-Buffalos und schrecklichen Raver-Miniröcke von damals wieder auszubuddeln. – Ein Versprechen, dass ich dann beim nächsten Mal nur allzu gerne wieder brach 😉
Uns interessierte es nicht, wenn es an Weihnachten so voll und so heiß in dir war, dass man die ganzen Räumlichkeiten samt ihres Inhalts binnen weniger Minuten zu einer großen Pastete hätte verarbeiten können. Wir hatten es irgendwie durch die Kälte an der Schlange vorbei in dich hinein geschafft, und das war die Hauptsache. Alle waren sie plötzlich wieder da. Menschen, die man seit Jahren nicht gesehen hatte. Wenn es in Deutschland so etwas wie Homecoming in den USA gibt, dann war das deine (inzwischen in der Kleinen Freiheit weiterlebende) Weihnachtsparty. Und du unser kleines „Home away from home“ an den Feiertagen.
Liebes Glanz, du wirst mir schrecklich fehlen. Auch wenn deine Partys weiterleben und zukünftig einfach bei deinen Geschwistern Freiheit und Zucker unterkommen, so ist es doch, als ob ich hier einem guten Freund Lebewohl sagen muss. Trotz allen Verständnisses tut es weh. Denn richtig „glänzen“ kann man eben nur in dir…
Ein letztes Mal richtig „glänzen“ könnt Ihr am Mittwoch, 29.04. und Donnerstag, 30.04 (Tanz in den Mai). Und wer noch Lust hat, sich ein gemütliches Konzert auf der kleinen Clubbühne anzuhören, kann das laut Homepage am 29.04. mit Singer/Songwriter Florian Ostertag tun.