Aus den Radios schallt in diesen Tagen an allen Ecken „Do they know it’s Christmas?“ Doch nicht, wie sonst gewohnt, nur auf Englisch, sondern neuerdings auch auf deutsch. Die Geister scheiden sich an diesem Werk, zu dessen Aufnahme Campino von den Toten Hosen jede Menge mehr oder weniger namhafte Musiker aus der deutschen Musikbranche zusammengetrommelt hat. Aber warum stößt die deutsche Version des Songs so sehr an? Ein kleiner Analyseversuch, abseits der Finger selbsternannter Moralapostel.
„Do they know it’s Christmas?“ schallt es aktuell an allen möglichen und unmöglichen Stellen aus dem Radio. Dass Bob Geldof zum 30. Geburtstag der Urversion des Stücks die Topstars der internationalen Musikbranche zusammengetrommelt hat, um dieses Mal anlässlich der Ebola-Katastrophe in Afrika Spendengelder zu sammeln, ist ein guter Schachzug. Einen passenderen Zeitpunkt für die Veröffentlichung der Neuauflage des Stücks hätte man schließlich nicht finden können und noch selten hatte die Grundaussage des Stücks in diesem Jahrhundert einen höheren Wahrheitsgehalt als in diesen Tagen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es natürlich nur gut und recht, dass auch die deutsche Musikbranche ihren Beitrag zur Ebola-Hilfe leisten möchte. Als Initiator auf deutscher Seite steht Campino von den Toten Hosen auf der Matte. Seinem Ruf, „Do they know it’s Christmas?“ auch auf deutsch aufzunehmen, sind zahlreiche Künstler gefolgt; sehr viele, die ich persönlich sehr gerne mag und respektiere. Darunter sind neben vielen anderen zum Beispiel Thees Uhlmann, Sportfreunde Stiller, Donots, Philipp Poisel, Clueso, Jennifer Rostock, Marteria, Michi Beck, Udo Lindenberg oder Wolfgang Niedecken.
Und warum auch nicht? Die Ebola-gebeutelten Länder in Afrika können wirklich jedes bisschen Hilfe gebrauchen.
Doch warum finden so viele Leute die deutsche Version, ja teilweise sogar die ganze Aktion scheiße? Die im Netz immer wieder geäußerte Kritik, die teilnehmenden Künstler – sowohl in der englischen als auch der deutschen Band-Aid-30-Version – würden so kurz vor Weihnachten einfach nur Werbung für sich selbst machen wollen, möchte ich hier gar nicht diskutieren. Ich fände es vermessen, hier als Moralapostel den erhobenen Zeigefinger zu schwingen und die Motivation der teilnehmenden Künstler in Frage zu stellen, da ich diese auch nicht überprüfen kann. Jan Böhmermann hat dies mit einiger Recherche scheinbar getan, aber da es hier ja um Musik geht, lasse ich den Rant von Jan Böhmermann namens „Do they know it’s Scheiße?“ auch einfach mal einen Rant sein. Also konzentrieren wir uns doch einfach einmal auf die Musik.
Schon Patrice schrieb vor einigen Tagen in einem Statement auf seiner Facebookseite, dass die deutsche Version von „Do they know it’s Christmas?“ aus musikalischer Sicht „kein großer Wurf“ sein würde. Dessen sei man sich bewusst gewesen. Da hat er wohl Recht. Die deutschen Textpassagen wirken stellenweise, mit Verlaub, als hätte eine übermotivierte Schulklasse während ihrer Projektwoche einen Text gegen das Leid in Afrika geschrieben. Über ein ähnliches aus meiner eigenen Schullaufbahn, bin ich kürzlich noch beim Aufräumen einer alten Festplatte gestolpert. Zwar versucht man angeblich, das Thema im deutschen Text von „Do they know it’s Christmas?“ weniger klischeebehaftet und mit weniger Pathos zu behandeln, aber sind Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt etwa kein Klischee? Ist der „tödliche Kuss“ etwa ein schlichtes, dezidiertes Bild? Darüber lässt sich streiten.
Die reine Qualität Textpassagen von „Do they know it’s Christmas?“ auf deutsch sind, zu Recht, schon ein Grund, weshalb sich so mancher Hörer von diesem Song recht schnell abwenden möchte. Eine weitere Ebene verbirgt sich jedoch in der Tatsache, dass der Mehrheit der Hörer sowohl das Original von 1984 als auch das aktuelle Remake von Band Aid 30 bekannt ist. Und wie es so bei altbekanntem ist, hat jeder Hörer, sei es bewusst oder unbewusst, eine gewisse Erwartung an die neue Version, die erfüllt werden will. Das gilt auch für die Bob Geldof-Version, jedoch hat diese es wesentlich einfacher, bei der Mission „Erwartungserfüllung“ erfolgreich zu sein, da sie lediglich etwas modernisiert, ansonsten aber nicht großartig verändert werden muss. Überträgt man das Ganze dagegen ins Deutsche, läuft man allein schon aufgrund des emotionsgeladenen Themas und den linguistischen Gegebenheiten der deutschen Sprache Gefahr, das Stück vom Text her zu „verschlagern“. Und allein schon damit die hohen Erwartungen der Hörer an eine deutsche Version nicht zu erfüllen. Kitschige Bilder tun ihr übriges.
Der Effekt der nicht erfüllten Erwartungen verstärkt sich zudem, wenn die deutschsprachige Version nahezu zeitgleich mit einer „muttersprachlichen“ Version auf den Markt kommt, welche den Erwartungen des Publikums natürlich viel eher entspricht; die Qualität dieser Version steht auf einem anderen Blatt. Der ständige, direkte Vergleich des deutschen „Do they know it’s Christmas?“ mit dem englischen, neuen „Original“ führt dem Hörer die enttäuschten Erwartungen immer wieder vor Augen. Oder vielmehr vor die Ohren.
(Hallelujah, ich hätte nicht erwartet, dass ich die Theorie aus meiner Diplomarbeit von 2010 noch einmal praktisch anwenden würde.)
Foto: Paul Ripke/Universal Music