Als Gitarrist von Revolverheld stand Kristoffer Hünecke alias KRIS in den letzten Jahren schon auf den ganz großen Festivalbühnen in Deutschland, spielte mit seiner Band Konzerte in China und der Türkei. Jetzt gönnt sich die Hamburger Band eine Pause. Nachdem Revolverheld-Sänger Johannes Strate bereits vergangenen Herbst seine Solo-Karriere ankurbelte, zieht Gitarrist KRIS nun nach. Als nahezu unbekannter Newcomer veröffentlicht er Mitte Mai sein Soloalbum „Immer wenn ich das hier hör“ und präsentiert sich dort erstmalig als Sänger. Der er eigentlich gar nicht ist.
Wie kommt es, dass du auch ein Solo-Album gemacht hast? So ganz platt gesehen, erwartet man das ja erst mal nicht. Du bist eigentlich ja „nur“ der Gitarrist.
Ich schreibe auch bei Revolverheld ziemlich viele Songs. Das Songwriting ist über die Jahre einfach zu meiner Lieblingsbeschäftigung geworden. Ich hatte viele Songs zu Hause herumliegen, die gar nicht zu Revolverheld passten. Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, daraus irgendwann mal ein Album zu machen. Nur bin ja nun kein Sänger. Das hört man ja auch (lacht). Deshalb habe nie geglaubt, dass das wirklich mal passieren würde. Als Johannes dann mit seinem Soloalbum um die Ecke kam und für uns fest stand, dass wir ein Dreivierteljahr weniger mit Revolverheld machen würden, habe ich die Chance genutzt. Ich habe mich einfach getraut, mich hingesetzt und versucht zu singen. Das ging von Mal zu Mal besser und irgendwann war ich zufrieden. Meine Plattenfirma war von meinem Demo direkt begeistert.
Du hast auf deinem Album unter anderem für deine erste Single „Diese Tage“, die am 4. Mai erscheint, mit Dante Thomas zusammen gearbeitet. Wie habt Ihr zueinander gefunden?
Dante Thomas war völliger Zufall. Ich war im Studio eines Freundes, der das Album von Dante produziert hat. Es war eigentlich gar nicht geplant, dass er auf meinem Album singt. Irgendwann ist er im Studio vorbei gekommen, hat „Diese Tage“ gehört und war sofort begeistert und hat gleich angefangen, Sachen auszuprobieren. Innerhalb von 15 Minuten hatte er das Ding am Start und ich fand es mega.
Und die anderen beiden?
Daniel von Bakkushan kenne ich schon ewig. Bakkushan ist eine Band, mit der wir von Revolverheld uns immer gut verstanden haben und auch schon gemeinsam getourt sind. Mit Daniel habe ich ein sehr freundschaftliches Verhältnis, habe mit ihm zusammen auch Songs für die neue Bakkushan-Platte geschrieben. Deshalb war es für mich ganz natürlich, ihn zu fragen, ob wir nicht mal was zusammen machen. Bei dem Track „Egal was morgen ist“ schreit es einfach nach seiner Stimme.
Nico Suave kenne ich auch schon länger. Ich habe eine große Affinität zu HipHop, die man auf dem Album auch hört. Neben meinen Pop- und Rockwurzeln ist HipHop auf jeden Fall ein ganz großes Thema für mich. Deswegen wollte ich unbedingt einen Rapper auf dem Album haben, der auch aus der Hamburger Riege kommt. Da ich mit Nico befreundet bin, war er natürlich der erste, den ich gefragt habe. Er hatte sofort Bock und eine echt geile Strophe geschrieben, wie ich finde.
Dein Album klingt streckenweise wie einige alte Sachen von Fettes Brot, Freundeskreis, Absolute Beginner und Co. Es ist sehr beatlastig und klingt oft ganz anders als Revolverheld.
Ich bin eigentlich über den HipHop zum Songwriting gekommen, habe mit 15 oder 16 HipHop-Texte geschrieben und war davon sehr beeinflusst. Auch wenn ich jetzt Texte schreibe, klingt das oft eher hiphoppig als rockig oder poppig. Da ich musikalisch aber aus dem Pop und aus dem Rock komme, mischt sich das auf meinem Soloalbum extrem.
Wie wichtig ist dir das, dass ein Song richtig ins Ohr geht und da hängen bleibt?
Naja, man versucht ja nicht, einen Anti-Ohrwurm zu schreiben (lacht). Es ist aber tatsächlich so, dass ich sehr Hook-basiert schreibe. Das sind sehr zentrale Sätze, die mir direkt ein Kopfkino geben, wenn ich sie aufschreibe. Das ist mir einfach sehr wichtig. Für mich lebt ein Song einfach durch die Hook. Wenn mir die Hook nicht gefällt, schreibe ich auch gar nicht weiter. Außerdem bin ich total melodieverliebt. Ich stehe auf einfache, aber schöne Melodien, die hängen bleiben. Der vordergründige Song muss gleich beim ersten Mal voll wahrzunehmen sein. Wenn ich Musik höre und mich dabei entspannen will, möchte ich auch etwas hören, was mich sofort anspricht, Nicht erst beim fünfzehnten Hören.
Was brauchst du um einen richtig guten Song zu schreiben? Wie sieht das von der Situation her dann bei dir aus? Ich bin tatsächlich sehr diszipliniert. Ich setze mich jeden Tag in mein Studio und mache was, so wie andere Leute zur Arbeit gehen. Abends habe ich dann etwas fertig. Da ist zwar oft auch viel Mist dabei, aber ab und zu finde ich auch schon mal etwas ziemlich gut. Bei mir ist es also nicht so, dass ich Sonntagmorgen um 5 denke „Ich muss jetzt sofort einen Song schreiben“. Das passiert zwar auch manchmal, ist aber eher untypisch für mich.
Woher nimmst du die Inspiration zu deinen Texten?
Für mich ist das alltägliche Leben Inspiration, weil es die Geschichten schreibt. Ich bin jemand, der alles sehr genau beobachtet. Ich brauche die Texte ein bisschen um alles Erlebte Revue passieren zu lassen. Es ist natürlich auch immer ein bisschen Selbsttherapie, wenn man einen Song schreibt. Auch gerade, wenn man so ein persönliches Soloalbum schreibt, wo viele Geschichten eben doch relativ offensichtlich von deinem eigenen Leben handeln.
Wie viel deiner Persönlichkeit steckt denn in diesem Album?
Solche Tracks wie „Immer wenn ich das hier hör“ sind natürlich sehr persönlich und erzählen Geschichten, die vor meinen eigenen Augen passiert sind. Insgesamt steckt sehr viel von mir selbst in diesem Album. Wenn man das Album so nimmt, wie es ist, sieht man eigentlich ein Spiegelbild von mir. So bin ich. Von nem Partytrack wie „Meine Wohnung ist ein Klub“ bis hin zu fast schon selbstzweiflerischen Tracks gibt es die komplette Bandbreite, thematisch wie musikalisch. Die Songs spiegeln genau meine Gefühle während des Entstehungsprozesses des Albums wieder. Ab und zu habe ich gedacht, meine Güte, was mache ich hier gerade eigentlich? Ist das überhaupt alles richtig? Bin ich überhaupt ein guter Songwriter? Bin ich wirklich gut genug, ein Soloalbum zu machen? Auf der anderen Seite hatte ich dann Phasen, in denen ich so begeistert von der Chance war, das Album überhaupt machen zu dürfen, dass ich die ganze Zeit nur noch feiern wollte. Mir war es sehr wichtig, dass man auch wirklich alle Facetten seiner Persönlichkeit zeigt, wenn man schon so ein Soloalbum macht. Je mehr man erfährt, desto besser.
Du gehst mit deinem Album jetzt relativ unbelastet nach draußen. Man kennt deine Stimme nicht, dein Gesicht kaum. Was hast du selbst für Erwartungen an dein Album?
Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass ich damit wirklich einen Plattenvertrag kriegen könnte. Ich wollte etwas zu tun haben, während wir mit Revolverheld eine Pause machen. Ich bin nicht so gut darin, abzuwarten und gar nichts zu machen. Deswegen wollte ich mir einfach etwas vornehmen. Als ich dann zur Plattenfirma gegangen bin und das Demo vorgelegt habe, hatte ich überhaupt nicht die Erwartung, dass die sofort „super, wir machen das“ sagen. Es ist schließlich vollkommen untypisch, dass ein Gitarrist auch ein Soloalbum macht und dann auch noch versucht zu singen. Da gibt es ja auch genügend Negativbeispiele, bei denen man sich fragt, ob das jetzt wirklich hätte sein müssen. Deshalb hatte ich da auch zu Anfang eine sehr geringe Erwartung. Alles was ich mir am Anfang des Prozesses eigentlich vorgenommen hatte, war, das Ding fertig zu machen. Alles, was jetzt noch passiert, ist einfach ein toller Zusatz. Ich freue mich total, dass die Platte jetzt rauskommt, ich freue mich total, dass wir ein unglaubliches Video in Los Angeles gedreht haben. Das ist ja in der heutigen Zeit, bei der wirtschaftlichen Lage der Musikindustrie auch wirklich nicht selbstverständlich, dass man einfach in die Sonne fliegt, um ein Musikvideo zu drehen. Das zeigt aber auch, dass die Plattenfirma an das glaubt, was ich da gemacht habe. Das ist für mich eine echt große Sache und auf jeden Fall große Motivation für die Zukunft.
Das Album ist bereits an die Medien verschickt worden, jetzt kommt die Zeit der ersten Rezensionen. Wie gehst du mit Kritik um?
Ich habe aus der Revolverheld-Zeit gelernt, das alles nicht zu ernst zu nehmen. Ich bin schon kritikfähig und denke darüber nach, aber ich finde, dass der Musikjournalismus in Deutschland sehr negativ belastet ist. Oft wird versucht, das Haar in der Suppe zu finden und nicht unbedingt das große Ganze gesehen. Gerade, wenn man direkte, polarisierende Texte schreibt und offensichtlich Popmusik macht, hat man es bei den Kritikern und Rezensionen schwer. Der Independent und Underground wird oft gut rezensiert, offensichtliche Popbands aber nicht. Ich finde es total gut, wenn sich jemand hinsetzt, das Album hört, sich Gedanken macht und dann eine ehrliche Kritik schreibt. Wenn er es dann scheiße findet, kann ich damit auch gut leben. Sofern es denn gut recherchiert und gut geschrieben ist. Wenn sich jemand hinsetzt, und eine Kritik schreibt, erwarte ich von ihm, dass er sein Handwerk beherrscht, genauso wie er von mir erwartet, dass ich mein Handwerk beherrsche, wenn ich eine Platte mache. Das ist eine Sache des gegenseitigen Respekts. Wenn ich ab und zu im Internet Rezensionen lese, bei denen sich irgendwelche Leute selbst zu Journalisten ernannt haben, ärgere ich mich dann manchmal schon. Oft sind das dann nur noch Beleidigungen, nichts ist richtig recherchiert oder fundiert. Aber ich ziehe mir das schon rein. Früher, bei den ersten Revolverheld-Rezensionen, habe ich mich noch geärgert. Inzwischen bin ich da aber von weg, weil ich mich auch selbst gefunden habe und vollkommen mit dem was ich bin und was ich mache zufrieden bin. Das hilft.
Wie ehrgeizig bist du? Wo willst du mit dem Album hin?
Ich bin schon ein sehr ehrgeiziger Typ. Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde, ich will nicht so viel wie möglich mit dem Album erreichen. Aber ich bin Realist, trotz meines Ehrgeizes. Ich bin der Gitarrist von Revolverheld, eigentlich kennt mich niemand. Deshalb ist das fast wie bei einem Newcomer, und als Newcomer hat man es in der deutschen Musikindustrie echt schwer. Deswegen bin ich einfach nur froh, dass das Ding jetzt rauskommt und wir ein bisschen live spielen können.
Euer Sänger Johannes hat schon ein Soloalbum veröffentlicht, jetzt bist du an der Reihe. Gibt es da interne Konkurrenz bei Revolverheld?
Nein, gar nicht. Ich glaube sogar, dass beide Solo-Geschichten für Revolverheld als Band insgesamt richtig gut waren. Dadurch dass wir beide uns jetzt alles von der Seele geschrieben haben, ist das, was mir mit Revolverheld sind, noch viel purer. Natürlich wird es immer die unterschiedlichen Einflüsse geben, klar. Es wäre ja auch schade, wenn nicht. Aber jetzt ist eben genau das weg, was davor eben über die Grenzen geschlagen ist. Für das nächste Album sind wir viel befreiter und können klar sagen, wir machen jetzt das Band-Album. Und so wie es gerade aussieht, war das eine sehr gute Entscheidung.
Wie sieht es mit Live-Konzerten von dir aus? Gibt es eine Tour?
Ich hoffe es. Das kann ich gerade noch nicht so genau sagen. Ich bin jetzt erst mal auf ein paar kleinen Festivals unterwegs und spiele ein paar Shows für verschiedene Radiosender. Da freue ich mich schon drauf. Wenn das alles einigermaßen gut anläuft, und die Leute auch Lust haben, zu meinen Solo-Konzerten zu kommen, dann würde ich gerne im Herbst ein paar minikleine Clubshows spielen. Ich habe einfach mal wieder Lust, ganz pure 150-Leute-Shows zu spielen. Also die kleinsten Clubs, die so gehen. Vielleicht klappt das ja. Aber ich muss noch abwarten.
Du hast jetzt schon ein paar kleinere Auftritte solo gespielt. Was ist das für ein Gefühl, wenn plötzlich alle Augen auf dich gerichtet sind und du im absoluten Mittelpunkt stehst?
Aufregend und ganz anders. Ich hätte mir das auf keinen Fall so krass vorgestellt, weil ich mit Revolverheld ja doch schon auf so einigen Bühnen stand. Eigentlich dachte ich, mir könnte da nicht mehr wirklich viel passieren und ich hätte an sich schon relativ viel Routine. Aber es ist dann doch echt anders, wenn man seine Position tauscht, plötzlich in der Mitte steht und sieht, wie nach dem Song der Applaus abebbt, alle Augen auf dich gehen und alle Leute erwarten, dass man jetzt die Pausen füllt. Davor hatte ich am meisten Angst und war deshalb vor den Auftritten echt nervös, bin es auch immer noch. Das ist eine große Herausforderung, an der ich wachsen kann. Es lässt mich auch noch ein bisschen besser verstehen, was Johannes da bei uns eigentlich die ganze Zeit leistet. Wenn sich die Routine einschleicht, vergisst man auch mal, was das da vorne eigentlich für eine Aufgabe ist. Natürlich ist es für jeden eine Aufgabe, auf der Bühne zu stehen und seinen Job gut zu machen. Aber wenn man es nicht gewohnt ist, da im Mittelpunkt zu stehen und die Leute zu entertainen, ist das schon echt eine wahnsinnige Herausforderung. Ich habe da aber richtig Bock drauf. Das ist ein Bereich, in dem ich auf jeden Fall noch viel lernen kann und in dem ich einfach noch Anfänger bin. Aber es macht richtig Spaß.
Bei welchen Songs bist du am meisten auf die Reaktionen des Publikums gespannt?
Ich freue mich auf die Extremen Seiten des Albums, also auf die wirklich ruhigen Songs und wirklichen Up-Tempo-Tracks. Gerade in kleinen Clubs können die ganzen Up-Tempo-Nummern echt gut funktionieren. „Glücksrausch“ oder auch „Meine Wohnung ist ein Klub“ könnten da echt zur Party werden. Aber ich freue mich auch auf die ganz, ganz intimen Sachen. Wenn du 100 Leute in einem Club hast und du spielst einen Song wie „So laut“, nur mit Akustikgitarre und vielleicht noch Klavier dazu, dann kann das ein echt intensiver Moment sein. Bei so einem leisen Song redet da wahrscheinlich niemand. Wenn man es gut spielt. Ansonsten hat man etwas falsch gemacht.
Die letzte Frage ist zum Text von „Meine Wohnung ist ein Klub“. Tanzt du manchmal wirklich nackt zu Revolverheld durch deine Wohnung?
Ja, du, ich sag‘s dir, das Album ist total autobiografisch. Deswegen, klar! (lacht) Natürlich ist der Text ein bisschen auf die Spitze getrieben. Der Song ist aber wirklich vor dem Hintergrund entstanden, dass ich in meiner Stadt alle Locations zum Feiern kenne und total davon gelangweilt war. Ich habe mich dann dabei erwischt, dass ich viel mehr Bock dazu hatte, zu Hause meine eigene Musik aufzulegen, mir meine eigenen Drinks zu mischen und mich mit Menschen zu umgeben, auf die ich auch wirklich Bock habe. Und nicht beispielsweise auf der Reeperbahn von tausenden besoffenen, unangenehmen Leuten umrahmt zu sein. Ich habe es in letzter Zeit wirklich genossen, auch mal zu Hause was zu machen. Klar ist „Meine Wohnung ist ein Klub“ lustig und ein bisschen ironisch. Aber ich glaube, dass viele Leute manchmal so denken. Vor allem in Städten, in denen man schon alles kennt und gelangweilt ist, hat man eben mehr Bock, zu Hause seine eigene Party zu schmeißen. Meine Wohnung ist ein Klub!
Kris‘ erste Single „Diese Tage“ erscheint am 4. Mai. Das Album „Immer wenn ich das hier hör'“ steht ab 18. Mai in den Läden. Mehr Infos zu Kris: http://www.krisofficial.de/
Fotos: Thomas Leidig, Pascal Kerouche
Schönes Interview. Ich wünsche Kris keine negativen Kritiker und dass er vielleicht zu einer kleinen Newcomer-Überraschung jetzt im Sommer wird.