Wahrscheinlich habt Ihr schon alles über den diesjährigen Bundesvision Song Contest von Stefan Raab gelesen. Mark Forster hat gewonnen, das Niveau der angetretenen Bands war insgesamt erstaunlich hoch und viele Bands, allen voran die Donots aus Ibbenbüren, haben ein Zeichen gegen Rechts gesetzt. All das habt Ihr vermutlich schon vernommen. Aber wenn Ihr jetzt weiter lest, bekommt Ihr noch ein kleines bisschen Backstage-Luft dazu. Und jede Menge selbstgemachte Fotos. Versprochen!
Nach fast vier Jahren ist der Bundesvision Song Contest 2015 die erste große TV-Aufzeichnung, bei der ich wieder live dabei sein darf. Bloggend zumindest, denn im vergangenen Jahr saß ich bereits als Zuschauerin im Bundesvision Song Contest 2014 in Göttingen – der von der Bandauswahl, mal von Revolverheld und ein paar weiteren Ausnahmen abgesehen, nicht im geringsten mit der Veranstaltung in Bremen mithalten konnte. Aber dazu später mehr.
In der Halle vom Bundesvision Song Contest
Als meine Begleitung Svenja und ich kurz vor Showbeginn mit Sack und Pack auf unseren Plätzen direkt vor dem Regiepult in der Halle ankommen, sind die Ränge schon ziemlich voll – aber die Fanblöcken auf dem Parkett erstaunlich leer. Als Elton mit dem Warm-Up beginnt, hat sich die Situation nicht wirklich geändert. Besonders in den Blöcken von Sachsen und Sachsen-Anhalt herrscht gähnende Leere. In Göttingen war das 2014 nicht anders und der einzige Grund, warum ich nachher tatsächlich direkt neben der Bühne saß. Fünf Minuten vor Showbeginn werden die Lücken gestopft und einige Zuschauer aus den hinteren Reihen und oberen Rängen dürfen nach vorne aufrücken.
Derweil balanciere ich in nicht nur gefühlt tropischer Hitze zwei Kameras mit monströsen Teleobjektiven auf meinem Schoß, und versuche mich so hinzusetzen, dass ich beim Fotografieren mit dem Größeren weder Svenja links oder den Fotografenkollegen rechts von mir erschlage. Der schlecht gelaunten Fotografin links von Svenja ist das dagegen fast egal. Wenn sie sich nicht gerade lautstark über irgendetwas beschwert oder schmollt, weil sie das falsche Objektiv mitgenommen hat, sitzt sie des öfteren nicht nur halb auf Svenjas Schoß – obwohl zwischen den beiden eigentlich noch ein ganzer Platz frei ist. Ja, Fotografen dürfen sich auf allen Rängen frei bewegen, aber das fällt der Dame irgendwie nicht ein. Oder nur falsch. Svenja gehört ja nicht zum Halleninventar.
Svenja twittert fleißig für LEISE/laut, soweit es das überlastete Handynetz in der Halle zulässt.
Die Bands und Stefan Raab
Man muss sagen, dass beim Bundesvision Song Contest 2015 tatsächlich so gut wie keine Bands dabei sind, die für ihren Auftritt das Prädikat „scheiße“ verdienen. Dazu sind die Einspieler mit Stefan Raab und den Bands wirklich lustig und alles andere als peinlich. Eine schöne Abwechslung zu 2014. Selbst die Ex-GZSZ-Grazien Yvonne Catterfeld und Jeanette Biedermann, Letztere in der Band Ewig verbastelt, legen absolut solide Auftritte hin. Von Yvonne Catterfeld habe ich tatsächlich noch einen kleinen Ohrwurm. Verrückt.
Einzig das Wunderkynd aus Bayern haut mit seiner Performance von „Hallo Hallo“ so richtig daneben, vor allem neben den Takt. Wer weiß, vielleicht haben ihn ja seine einzig mit Tittenpflastern bekleideten Tänzerinnen auch aus dem Konzept gebracht. Der letzte Platz zurecht.
Ex-Deichkind Buddy Buxbaum dagegen fällt nicht negativ auf. Er fällt mit seinem Auftritt zu „Termin im Park“ einfach gar nicht auf. Vielleicht ist die Nummer zu gechillt, vielleicht zu belanglos. Man weiß es nicht. Jedenfalls vergessen Svenja und ich gleichermaßen andauernd, dass der gute Mann überhaupt dabei war. Bei jedem Schnelldurchlauf immer das gleiche Bild: „Ach, der war ja auch noch da.“ Mit 3Viertelelf und Glasperlenspiel geht es mir ähnlich. Nur dass mir bei den beiden die Songs zumindest noch etwas besser gefallen.
Namika aus Hessen mag zwar mit ihrer Nummer „Lieblingsmensch“ ganz oben in den Charts sein, aber „Hellwach“ reißt mich nicht so recht vom Hocker. Hier überzeugt auch eher die gesamte Lichtshow, die stark an Deichkind erinnert, als der Song selbst. Naja. Überhaupt habe ich bei dem Song laufend das Gefühl, den Song oder zumindest einige Passage schon mal bei anderen Bands gehört zu haben. Manches erinnert mich inhaltlich einfach zu sehr an „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox.
Anders als ihre Kollegin Lary. Der Song „Bedtime Blues“ ist jetzt zwar nun wirklich nicht mein Lieblingsstück, aber die Dame hat eine interessante Stimme, die sich von dem ganzen glattgebügelten Standard-Pop-Kram abhebt. Live kommt sie bei weitem besser rüber, als nur per Spotify.
Positiv überrascht haben mich tatsächlich PerDu aus dem Saarland, die mit ihrem rockig-groovigen „Lange nicht getanzt“ als eine der wenigen wirklich so gut wie vollkommen unbekannten Bands hier antreten. Da stimmt alles. Der Song, die Performance, alles authentisch und schön. Das macht Spaß. Ich wünsche den Herren, dass sie den Contest ein wenig als Sprungbrett nutzen können. Verdient hätten sie es auf jeden Fall.
Ganz ähnlich die Jungs von Jeden Tag Silvester aus Schleswig-Holstein, die von ihren Songs her auf jeden Fall auch mit Gewinner Mark Forster mithalten können. Aber wenn man nicht ganz so bekannt ist, hat man beim Bundesvision Song Contest meist nicht so die allerbesten Chancen.
Wie erwartet solide zeigen sich dazu Radio Doria und Mark Forster. Als sich herausstellt, dass Mark Forster als letzter an den Start gehen wird, denke ich mir schon, dass er gewinnen wird. Bei Revolverheld war es im Jahr davor genauso. Der aktuell erfolgreichste darf halt zum Schluss spielen. Headlinen. Das ist bei Festivals ja nicht anders. Und ich soll Recht behalten.
Refugees Welcome
Wer sich jetzt im vorigen Abschnitt dachte: Hä, da fehlen doch noch ganz viele! Die Donots, Madsen, Gloria, Ferris MC, Revolverheld. Was ist mit denen?
All diese Bands nutzen den Bundesvision Song Contest 2015 um ein Zeichen zu setzen. Gegen Nazis, gegen Fremdenhass, gegen diesen ganzen ekelhaften rechten Wahnsinn, der sich da draußen vor unseren Haustüren immer weiter ausbreitet. Wer mich persönlich kennt oder mir bei z.B. bei Facebook folgt, weiß, dass mir das Thema sehr am Herzen liegt.
Umso mehr freue ich mich direkt bei Ferris MC, der den Contest mit seinem „Monster Truck“ für Hamburg eröffnet. Was an einigen aufgrund der Entfernung zur Bühne untergehen mag, sind die „Refugees Welcome“-Shirts, die alle Bandmitglieder tragen. Super Sache.
Dann der überragende Auftritt der Donots, mit dem die Herren sowas von zurecht auf dem 2. Platz landen und eigentlich Platz 1 verdient hätten. „Kein Mensch ist illegal!“ schleudert Ingo Knollmann dem Publikum in „Dann ohne mich“ entgegen, unterstrichen von einem aufwühlenden Appell, gegen die „sogenannten besorgten Bürger und rechtsradikalen Wichser“ den Mund auf zu machen. Kaum einer anderen Band an diesem Abend steht so viel Emotion und Herzblut ins Gesicht geschrieben, wie den Jungs von den Donots. Und sie werden belohnt. Zum ersten Mal an diesem Abend steht wirklich die ganze Halle und jubelt. Ich habe dabei immer noch eine echt krasse Gänsehaut.
Etwas subtiler machen es da Gloria, die Band von Moderator Klaas Heufer-Umlauf und Wir sind Helden-Gitarrist Mark Tavassol in ihrem Song „Geister“, den sie für Bremen performen. Das zunächst spärliche Bühnenbild wird in der zweiten Hälfte durch einen Bläsersatz ergänzt, der in vollgepinkelten Jogginghosen und Trikots der deutschen Fußballnationalmannschaft von 1992 steckt. Zusätzlich klatschen zwei finster dreinblickende Typen in Bomberjacken neben Sänger Klaas rhythmisch Beifall. Warum das Ganze? Sie erinnern an die Geister der tödlichen Anschläge auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen 1992, als die Anwohner tatsächlich applaudierten und ein besoffener Typ in vollgepisster Jogginghose und Nationaltrikot grinsend mit Hitlergruß daneben stand. (Das Originalfoto von damals findet Ihr hier.)
Neben Ferris MC zeigen sich auch Madsen und Revolverheld in „Refugees Welcome“-Shirts. Für den besonderen Show-Effekt präsentieren Revolverheld ihre Shirts ganz offensiv in einer „Jacke aus“-Aktion während des Percussion-Parts ihres Songs „Lass uns gehen“.
Wie mir Revolverheld-Gitarrist Niels Grötsch während des Fototermins mit Mark Forster auf der Bühne noch erzählt, war ihnen dieses Statement besonders wichtig. Man hätte zwar sagen können, oh, die machen das den anderen nach, aber bei diesem Thema könnten gar nicht genug Leute mitmachen. „Ich würde mir wünschen, dass noch viel mehr deutschsprachige Künstler hierzu den Mund aufmachen würden und nicht aus Angst vor den Reaktionen ihrer „Fans“ stumm blieben“, so Grötsch weiter.
Und sonst so?
Zum Schluss noch meine persönlichen Erkenntnisse des Abends: Der Green Room ist viel kleiner, als er im Fernsehen immer aussieht. Als wir für eine abschließende Mini-Pressekonferenz mit Mark Forster und Stefan Raab dort hin geführt werden, erkenne ich den Raum kaum wieder.
Auch Stefan Raab ist ein Meister der Tarnung. Als ich mich vor dem Eingang der Aftershow Party noch mit einer Freundin unterhalte, merke ich dabei erst nach gut 10 Minuten, dass der Typ mit dem Cap, der schon die ganze Zeit fast neben mir steht und sich mit einem Bekannten unterhält, Stefan Raab ist.
Zu guter Letzt will niemand verraten, ob es mit dem Bundesvision Song Contest im nächsten Jahr weiter geht. Schade. Ich würde mich freuen. Auch wenn mittlerweile nur noch wenige echte Newcomer dabei sind, haben diese doch so wenigstens eine Chance, überhaupt auf einen Schlag von vielen 1000 Leuten gesehen zu werden.
Bildergalerie vom Bundesvision Song Contest
Ein Grund, weswegen dieser Blogpost so spät erscheint, ist die unglaubliche Fotoflut, durch die ich mich ackern musste. Warum musste ich auch fast 1700 Fotos machen?! Langsam sollte ich meinem Auge und dem Auslösefinger doch wirklich vertrauen können. Hier sind „ein paar“ meiner Lieblingsbilder vom Bundesvision Song Contest 2015.