Tocotronic sind inzwischen wahre Urgesteine der deutschen Musikszene. Am 20. Oktober spielen sie im Rosenhof. Frontmann Dirk von Lowtzow hat erzählt, was er von zu viel Anerkennung, Charts und Heimat hält.
Ihr seid als Band ja schon fast Dinosaurier.
Naja, das klingt jetzt nicht sehr charmant (lacht).
Das ist aber positiv gemeint. Es gibt nur wenige Bands, die so lange präsent sind und so einen großen Einfluss haben und von so vielen anderen jungen Bands als musikalisches Vorbild angesehen werden. Was ist das für Euch persönlich für ein Gefühl?
Ich finde es grauenvoll. Vorbild zu sein ist etwas, was man nie sein möchte. Ich fände es besser, wenn junge Bands uns zum Kotzen finden würden und alles genau anders herum machen wollen. Zu viel Anerkennung ist auch nicht schön. Man fühlt sich natürlich geschmeichelt, aber man muss sehr aufpassen, sonst wird man schrecklich eitel. Wenn man das selber erlebt, hat das auch oft was Unangenehmes.
Wie geht es Euch dann damit, dass Euer aktuelles Album „Schall und Wahn“ auf die 1 gegangen ist? Langgehegter Traum oder Zufall?
Das war eher ein Zufall und das hat jeder unterschiedlich aufgenommen. Auf der einen Seite war es natürlich eine schöne Erfahrung für uns und all die Leute, die mit uns in Kontakt stehen und zusammen arbeiten. Mir persönlich bereitet so etwas aber immer eher Angst und fand es daher weniger angenehm. Eher verstörend.
Stereotypisch gesehen ist die 1 ja die höchste Ehre, die einem als Musiker zuteil werden kann.
Als Ehre würde ich das nicht bezeichnen. Ich habe grundsätzlich eine wahnsinnige Abneigung gegen Listen und Charts. Diese ganze Versportlichung finde ich fürchterlich.
Welche Bedeutung hat der Albumtitel „Schall und Wahn“ für Euch?
Das Interessanteste daran ist, dass er geklaut ist.
Von wem konkret?
Von William Faulkner. Der Roman heißt auf Deutsch „Schall und Wahn“, auf Englisch „The Sound and the Fury“. Das fanden wir so als Gedanken schön, weil es nicht authentisch ist. Und es ist ja sogar noch doppelt unauthentisch, denn es ist ja nicht mal der Originaltitel sondern nur die sehr freie Übersetzung.
Am 20. Oktober kommt Ihr auf Tour nach Osnabrück. Was macht Ihr denn jetzt vor der Tour noch?
Da machen wir gar nichts. Das ist das Schönste. Als Musiker oder Künstler ist auch ganz wichtig Phasen zu haben, in denen man gar nichts macht. Das Permanente Machen ist ganz gefährlich.
Wie würdest Du ein typisches Tocotronic-Konzert beschreiben? Gibt es das überhaupt, das typische Tocotronic-Konzert?
Ganz schwierig. Es ist ein Rockkonzert, es gibt Licht und Dunkelheit, es glänzt und es ist laut.
Gibt es spezielle Sachen, die immer dabei sein müssen? Bestimmte Songs oder Rituale, neben Glanz und Dunkelheit?
Nein, eigentlich nicht. Uns genügt es vollauf, einfach auf die Bühne zu gehen und zu spielen. In den letzten 18 Jahren war das für uns einfach die beste Herangehensweise. Es gibt natürlich andere Bands, die auf Spielchen mit dem Publikum oder akrobatische Einlagen setzen. Das ist aber nicht so unsere Tasse Tee.
Ihr nehmt regelmäßig politisch Stellung und engagiert Euch. Warum macht ihr das und wie seht ihr Bands, die das nicht tun?
Das kann jeder für sich selber entscheiden, ob man als Band oder Künstler politisch Stellung beziehen möchte oder nicht. Bei uns gibt es immer wieder Sachen, über die wir uns so wahnsinnig aufregen, dass wir sie entweder selber in die Songtexte hinein packen, uns dazu öffentlich äußern oder politische Aktionen unterstützen. Trotzdem finde ich, dass das keine Pflicht ist. Ich persönlich finde nur, dass dieses totale Bekenntnis zum vermeintlich Unpolitischen nur in den seltensten Fällen im neutralen Sinne wirklich unpolitisch ist.
Was für Ziele habt für die Zukunft? Wie lange wollt ihr noch weitermachen?
Das größte Ziel, das wir als Band haben, ist weiterzumachen solange wir noch etwas relevantes zu sagen haben und Leute die uns zuhören. So dramatisch das klingt, die Möglichkeit Aufzuhören, sollte man sich immer vor Augen führen. Ich finde es ist künstlerisch genauso wertvoll, aufzuhören oder einfach etwas mal nicht zu machen.
Umzug von Hamburg nach Berlin. In wiefern hat dieser Tapetenwechsel Eure Musik beeinflusst?
Unsere Musik könnte auch genauso gut in Budapest, Wuppertal oder Timbuktu entstehen. Natürlich arbeitet es sich besser an Orten, an denen man sich halbwegs wohl fühlt, aber ich möchte das auch nicht überbewerten. Ansonsten finde ich diesen Diskurs zu Heimat und dem Benennen wo man zu Hause ist, ziemlich doof. In meinen Augen spielt das im Bezug auf die Musik keine Rolle.
In einem alten Interview mit Euch stand, dass Eure „Texte die Herzen von Germanistikstudenten höher schlagen lassen“ würden. Muss man Germanistikstudent sein, um den tieferen Sinn hinter Euren Texten zu verstehen?
Das finde ich überhaupt nicht. Ich finde die Annahme, dass man einen bestimmten Bildungsgrad bräuchte, um unsere Texte zu verstehen, ganz grauenhaft. Jeder kann das was wir machen verstehen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass jeder auch das machen kann was wir machen. Man muss nur Spaß daran haben. Dieses Pochen darauf, dass eine Band ein bestimmtes Klientel mit einem bestimmten Bildungsgrad hat, finde ich total elitistisch und einfach doof. Wir sind nicht intellektuell.
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Das noch komplettere, ungekürzte Interview gibt hier es beim „Mutterschiff“ stayblue.de zu lesen.