Vor einigen Wochen habe ich Euch im Monday Madness die Newcomer von Claire vorgestellt. Mit ihrem Synth-Elektro-Indiepop mischen sie gerade die Szene von hinten auf. Kürzlich war die fünfköpfige Band aus München im Rahmen ihrer Tour in Osnabrück zu Gast. Meine liebe ehemalige os1.tv-Partytipps-Kollegin Theresa Pott hat Claire vor ihrem Gig in der Kleinen Freiheit zum Interview verhaftet, und mit Nepi (Synths), Flo (Gitarre), Fridl (Schlagzeug), Messel (Synths) und Josie (Gesang) ein sehr nettes Gespräch geführt.
Interview mit Claire
L/l: Ihr habt laut Biografie als kleines Projekt für ein Video angefangen. Ab welchem Moment wusstet ihr, dass hier ist mehr, eine richtige Band? Claire? Wie war das?
Flo: Einen einzelnen Punkt gab es eigentlich gar nicht.
Josie: Das hat sich eher so eingeschlichen. Klar, der erste Song „In Two Minds“, auch auf dem Album war für das Videoprojekt unseres guten Freundes Christoph Schaller. Er ist eigentlich der Kindergartenfreund vom Flo und macht immer noch unsere Videos. Den Song zu machen hat einfach sehr viel Spaß gemacht. Wie das dann so ist, macht man danach noch ein oder zwei mehr. Durch das Video kamen dann immer häufiger anfragen, ob es noch mehr Songs von uns gibt und ob wir nicht mal live spielen könnten. Damals waren wir noch zu viert, aber um live spielen zu können, braucht man ja auch noch ein Schlagzeug. So kam Fridl dann dazu. Flo und Fridl haben auch mal zusammen in einer Band gespielt, oder?
Fridl: Naja, richtig zusammen gespielt haben wir nie. Aber wir standen zusammen auf der Bühne (lacht).
Josie: Ja, ihr standet zusammen auf einer Bühne. Oder zumindest mal im Probenraum. Wie alt ward ihr da eigentlich?
Fridl: So 16, 17.
Flo: Nein, so 18, 19.
Messel: Dann war das ja letztes Jahr! (Gelächter)
Fridl: Naja, jedenfalls so vor vier Jahren.
Josie: So ist zumindest Fridl dazu gestoßen. Und dann hat sich das einfach ziemlich krass eingespielt.
Nepi: Dann saßen wir auf einmal so gemeinsam im Bus, und zack, kommen wir aus der Claire-Sache nicht mehr raus. (lacht)
Josie: Wir haben letztens mal definiert, ok, das ist jetzt blöd, dass man das in der Tonaufnahme nicht sieht, aber wenn man über Neon spricht und Neon beschreibt, dann ist das hier Neon (zeigt auf etwas knallgelbes).
Flo: Aber ich glaube, es geht eigentlich viel mehr um Neonlicht. Es kann auch einfach so ne schäbige Neonröhre sein.
Messel: Das war ja auch eher eine Begriffsfindung. Nepi hat das irgendwann mal so in den Raum geworfen, quasi als Schutzschildmechanismus gegen Musikjournalisten, die sich öfter mal ein bisschen schwer tun. Man wird ja doch gerne mal in Genres und Schubladen gesteckt, aber wir sind uns aber eigentlich gar nicht darüber im Klaren, in welchem Genre wir uns mit unserer Musik überhaupt genau bewegen. Klar gibt es immer mal Begriffe wie Synth-Pop und so Sachen, aber das fanden wir nicht so treffend. Zum Spaß haben wir uns gedacht, komm, wir machen jetzt einfach mal einen eigenen Begriff. Daraus ist dann irgendwann bei uns „Neon-Pop“ entstanden. Aber so richtig Ernst nehmen wir den nicht.
Nepi: Einer vom Label kam damals so um die Ecke und meinte, wir wären Post-Pop. Post-Pop klang uns dann aber viel zu sophisticated, weil das den Eindruck erweckt, wir hätten jetzt den absolut genauen Plan, was wir da machen. Das ging so einfach nicht. (lacht) Und da brauchten wir eine Lösung.
Flo: Ich glaube, es geht nicht um eine Neonfarbe, sondern eher Neon-Liebe. Auf dem Album haben wir den Song „Neon Love“. Darin gibt es das Bild, in dem eine Neonröhre in einem sehr romantischen Kontext an der Wand hängt. Das Licht ist natürlich eigentlich krass hässlich, aber in der Situation trotzdem irgendwie schön. Und um dieses Gefühl geht es eigentlich, und nicht um neonpink oder neongelb.
Josie: Oder einfach Neon. (lacht)
L/l: Ich habe gelesen, dass ihr alle sehr unterschiedliche musikalische Hintergründe habt. Wer hört bei Euch was? Und wie ist daraus die Musik von Claire geworden?
Messel: Lustigerweise hören wir mittlerweile schon recht ähnliche Musik. Wir haben einfach sehr große Schnittstellen, es gibt recht viele Bands, die wir alle gleich gern hören. Und dann hat da jeder natürlich noch seine speziellen Bands und Musikrichtungen, wo der einzelne dann mehr Erfahrungen mit hat, oder eher aus der Ecke kommt. Nepi und ich kommen eher so aus der Elektro-Hiphop-Ecke, Josie hört auch mal nur Gitarren und Gesang, der Fridl und der Flo mögen auch schon mal gern verstärkte Gitarren mit echtem Schlagzeug. Das sind so die Ecken, aus denen wir kommen. Am Ende schmeißt man die ganze Vielfalt, und besonders die Schnittmengen, in einen Topf und daraus entsteht dann der Sound, den man am Ende bei Claire hört.
Josie: Gar keine. Das ist ganz witzig. Die Geschichten werden gerade immer vermischt. Klar, Xavier Naidoo hat gesagt, such dir ne Band. Letzten Endes bin ich damals von den Dreharbeiten zurück nach München gekommen und durfte noch niemandem etwas sagen, weil die Sendung erst zwei Monate später ausgestrahlt wurde. Damals habe ich aber schon die Mail vom Flo bekommen, ob ich nicht mal Lust hätte, zu ihm ins Studio zu kommen. Das habe ich dann gemacht, habe den Jungs aber gar nicht erzählt, dass ich bei The Voice mitgemacht habe, weil ich ja letztendlich eh rausgeflogen bin.
Messel: Zum Glück!
Josie: Dadurch, dass wir uns damals ja auch noch gar nicht als richtige Band gefühlt haben, habe ich gleichzeitig auch immer noch Youtube-Videos gedreht, und so weiter. Der Bandgedanke hat sich erst nach und nach eingeschlichen und es hat wirklich gar nichts mit The Voice zu tun. Es ist ein krasser Zufall, das Xavier Naidoo mir geraten hat, mir eine Band zu suchen, und ich jetzt tatsächlich in einer Band bin. Das war wirklich nur ein großer Zufall. Ich finde es lustig, dass zwischen den beiden Sachen jetzt immer ein Zusammenhang hergestellt wird, obwohl dort eigentlich gar keiner ist. Das war Schicksal.
L/l: Ihr habt auch gerade von großen Medien super Kritiken bekommen. Wie fühlt sich das an, wenn plötzlich so viele Leute auf Eure Musik abfahren?
Flo: Das ist komplett verrückt. Für uns ist das ein krasser Schritt, dass wir jetzt unsere erste eigene Tour spielen dürfen, es ist vollkommener Wahnsinn, dass wir heute in Osnabrück sind und heute sogar Leute kommen. Wir hatten jetzt schon fünf Konzerte. Es ist so unfassbar, dass es auf dort wirklich Menschen gibt, die unsere Texte mitsingen können.
Josie: Das ist echt unfassbar, ja.
Flo: Da steht man dann auf der Bühne und denkt sich nur, oh man, wie krass. Man saß ein Dreivierteljahr vorher noch im Studio und hat sich gefragt, ob das wirklich gut ist, und dann singen das plötzlich Leute mit. Total krass. Das kann ich noch gar nicht glauben.
Messel: Das krasseste war in Stuttgart. Da kam ein Mädchen zum Merchstand, hat uns ihr Bein gezeigt und hatte unser Logo auf ihr Bein tätowiert. Das war extreeeem krass! Gerade wenn man so darauf zurückschaut, wie wir die Songs gemacht haben. Ganz für uns allein im Studio, ohne Öffentlichkeit im Kopf. Einen Tag mag man seine Musik, am nächsten Tag wieder nicht, dann doch wieder, und so weiter. Und plötzlich ist da eine Öffentlichkeit, die total darauf abfährt, das haut einen dann schon echt ordentlich um. Wir sind einfach froh, total geflasht und glücklich, voll geil, einfach abgefahren.
Josie: Es fällt uns auch echt schwer, so eine Frage zu beantworten, weil wir unsere Gefühle eigentlich noch gar nicht richtig in Worte fassen können.
Flo: Musiker zu sein ist ja auch so die Tätigkeit, bei der man am ehesten zu Selbstzweifeln neigt. Wenn man dann auf einmal so einen Zuspruch erfährt, stärkt das auf jeden Fall schon riesig das Selbstvertrauen. Die Reaktionen der Leute, das Mitsingen, das direkte Feedback motiviert einen wirklich, so richtig weiter zu machen. Insgesamt ist das einfach der Wahnsinn.
Nepi: Bei ein paar Songs gehört es auch einfach dazu, dass die Leute mitsingen. Zum Beispiel bei „Next ones to come“. Das erste mal hatten wir das richtig in Kempten auf dem Konzert. Wenn dann plötzlich ganz viele Leute in einem Raum „We are the Next Ones to Come“ singen, macht der Song viel mehr Sinn, als wenn man da nur alleine steht. Das macht dann auch richtig Bock.
L/l: Das kann ich mir gut vorstellen.
Flo: Wir sind in der letzten Zeit auch häufig gefragt worden, was das alles für uns bedeutet, ob wir glauben, wir wären das nächste große Ding zu sein. Wir sagen dann immer nein, denn uns geht es vielmehr um eine bestimmte Energie. Wenn man die dann bei unseren Konzerten spürt, gerade wenn die Leute mitmachen, das ist einfach das Beste was es gibt.
L/l: Beschreibt doch mal Eure Musik mit drei Worten.
Flo: Filmisch, vielfältig, euphorisch.
Josie: romantisch.
Nepi: Das waren jetzt vier.
(Gelächter)
L/l: Euer Debüt-Album heißt „The Great Escape“. Woraus versucht Ihr regelmäßig auszubrechen/zu fliehen?
Josie: Puh.
Messel: Auf den Albumtitel bezogen geht es gar nicht unbedingt darum, vor was wir fliehen, sondern eher wohin wir fliehen. Nachdem wir das Album zusammengestellt und alle Tracks ausgewählt hatten, haben wir gemerkt, dass die Musik so ein gewisses Bild oder eine gewisse Stimmung vermittelt, in die wir uns persönlich auch gerne hinein flüchten. In die Musik. Man hört den Track und ist mit einem Fingerschnippen sofort in einer anderen Welt, vergisst alles andere um sich herum.
Josie: Musik ist für mich immer wie ein Schalter. Anfangs höre ich der Musik bewusst zu, aber schon bald höre ich sie gar nicht mehr direkt, auch wenn sie noch läuft. Ich bin dann komplett in einer anderen Welt.
Fridl: Das passiert dir auch oft ohne Musik. Oder die Musik ist nur in deinem Kopf. (lacht)
Josie: (lacht) Ja gut, manchmal ist die Musik wirklich nur in meinem Kopf. Aber für mich funktioniert Musik wie ein Schalter, durch den ich mich einfach woandershin träumen kann.
Messel: Dieses Gefühl ist so der gemeinsame Nenner aller Tracks des Albums, und wir glauben, dass auch jeder Mensch zu einem gewissen Teil so ein Gefühl in sich trägt.
Fridl: Und es ist ein Filmzitat von Stephen King.
L/l: Verstehe, da schließt sich der Kreis.
Messel: Sprengt die Ketten, guter Film. Es hat nichts mit Blur zu tun.
(Gelächter)
L/l: Irgendwo stand geschrieben, Ihr möchtet wie ein einzelner Singer Songwriter klingen, nur eben ohne Gitarre, dafür elektronisch. Wie läuft da bei Euch das Songwriting ab? Erzählt mal. Wer ist da bei Euch für was zuständig?
Flo: Wir haben da keinen strikten Plan. Es gibt nur unser Studio. Wobei, es gibt eine Regel.
Messel: Die heißt, es gibt keine Regel.
Flo: Doch, unsere einzelne Regel ist, dass wir immer zuerst ein Instrumentalstück haben, und da dann später den Gesang drauf machen.
Messel: Ja, das hat sich so eingebürgert.
Flo: Ja genau. Und dann schraubt man so lange daran herum, bis man das Gefühl hat, das ist ein Song, an dem wir weiterarbeiten können.
Josie: Ich finde es immer total spannend zu sehen, was passiert, wenn einer der Jungs an einer Skizze arbeitet und die dann an den nächsten weitergibt, weil er nicht mehr weiterkommt. Der nächste setzt sich dann daran und am Ende kommt da etwas komplett anderes bei heraus. Das hat dann oft auch absolut nichts mehr mit dem zu tun, was da am Anfang reingegeben wurde. Bisher kann ich den Prozess auch noch absolut nicht nachvollziehen, wie einer vom Original auf die finale Idee kommen kann. Das entzieht sich mir noch, ist aber total spannend.
Flo: Manchmal braucht man auch einfach einen kreativen Impuls, damit man auf eine neue Idee kommt. So komplett von Null zu starten ist gar nicht so leicht. Wenn man dann schon irgendwas hat, auf dem man aufbauen kann, oder das einen weiter inspiriert, dann kann man auch neue Akkorde, Arrangements und so weiter finden, die zwar mit der Ursprungsskizze erst mal nichts zu tun haben, aber doch von ihr inspiriert sind. So hat man aber schon mal so einen Startpunkt.
Josie: Ein leeres Blatt ist immer das schwierigste. Wenn dann da schon mal ein paar Striche drauf sind, kann man meistens auch etwas daraus basteln.
Messel: Es beginnt immer diktatorisch bei einem von uns im Kopf allein, und endet dann schließlich im Konsens, bei dem alle dabei sind.
Flo: Oder auch nicht. Manchmal versauert es auch einfach auf der Festplatte.
Messel: Ja, dann regiert pure Gewalt.
(Gelächter)
Flo: Es geht nicht so sehr um die Textaussage selbst, sondern darum, dass der Text eine Emotion transportiert, die auch schon in der Musik drin steckt. Deshalb passiert bei uns wie gesagt auch immer erst die Musik, danach erst der Text. Ein Song ist für uns dann gut, wenn er nicht belanglos ist, sondern ein starkes Gefühl davon mitnimmt. Egal ob das nun Melancholie, Tatendrang oder Euphorie ist. Solange man eine Emotion mit davon trägt, ist es ein gelungener Song.
L/l: Woher nehmt Ihr die Inspiration zu Euren Stücken?
Josie: Ganz unterschiedlich, glaube ich. Kommt immer drauf an. Das reicht von selbst Erlebtem bis hin zu anderer Musik. Wir hören alle sehr, sehr viel Musik. Es gibt wenige Tage, an denen wir gar keine Musik hören. Das gibt einem immer Inspiration und neue Ideen.
Messel: Oder auch andere Menschen, Geschichten, andere Künstler, das Internet. Es muss nicht immer nur Musik sein. Irgendwie holt man sich ja schon von überall her seinen Input.
Josie: Manchmal kann man das selbst auch gar nicht beschreiben, was einen da beeinflusst hat. Manchmal rechnet man auch gar nicht damit, dass man von einer bestimmten Situation beeinflusst wird. Und dann hört man plötzlich Jahre später einen Song und fühlt sich genau an die Situation erinnert. So etwas überrascht mich immer wieder. Bei mir ist Inspiration deshalb oft auch vollkommen random.
Nepi: Textlich versuchen wir oft auch Sachen zu stilisieren. Oft ist es zuerst etwas selbsterlebtes, aber dann wird es zur Blaupause, die auch für viele andere Menschen gelten könnte.
Flo: Deshalb beschreiben wir unsere Musik auch als filmisch. Sowohl die Musik als auch die Texte funktionieren bei uns wie die unterschiedlichen Einstellungen in einem Film. Oft gibt es da Plots, die auch viel länger sind als der Song selbst. Wir picken uns dann immer die besten Einstellungen heraus. Deshalb wirken manche Songs auch genauso zusammenhangslos wie der Trailer eines Films.
Messel: Wie Nepi das eben schon gesagt hat, oft wird etwas persönliches am Ende entpersonalisiert, weil wir ja insgesamt auch eine sehr heterogene Gruppe sind. Wir sind ja nicht einfach eine Person. Und es soll sich jeder von uns in den Stücken wiederfinden und seine eigene Verbindung dazu haben.
Josie: Ich glaube, jeder von uns hat zu jedem Song eine ganz eigene Interpretation.
L/l: Das finde ich schön. Dann kann ja auch jeder Zuhörer seine ganz eigene Interpretation eurer Songs haben.
Josie: Das ist immer spannend für uns. Finde ich schön.
Messel: Genau. Wir sind eine unterstützende Band für den Deutsch-LK. Sponsored by Reclam.
Josie: Die Nominierung ist sooo krass! Da waren wir echt sprachlos.
Flo: Wir sind uns unserer Chancen aber bewusst.
Josie: Gerade wenn man sieht, mit wem wir zusammen nominiert sind. Moderat! Also mehr als der 5. Platz ist sicher nicht drin, aber das ist trotzdem der geilste Platz, weil wir überhaupt nominiert waren. Das ist schon unglaublich fett!
Flo: Und wir dürfen Moderat treffen!
Messel: Nein, die spielen da doch in Dehli.
Flo: Neeeeeeein!!
Messel: Rudi Völler hat mal gesagt: „In Bezug auf meine Frisur bin ich Realist.“ Das gleiche gilt auch für uns und die Krone.
Fridl: Was uns schon stolz macht, dass wir da mit Leuten wie Moderat in einer Reihe genannt werden. Das sind für uns echte großen in der deutschen Musikwelt. Das ist eine echt große Ehre für uns.
L/l:Wo möchtet Ihr noch mit Eurer Musik hin? Was ist Euer großer Traum?
Nepi: Weitermachen vor allen Dingen. Und dass es sich trägt, dass wir von der Musik leben können. Das ist unser größter Traum.
Mehr Infos zu Claire findet Ihr auf http://www.claireofficial.com
Foto: Christoph Scheller
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