BILLY. Tokio Hotel-Sänger Bill Kaulitz als Gesamtkunstwerk

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Bill Kaulitz von Tokio Hotel macht jetzt solo. Unter dem Künstlernamen BILLY versucht sich Herr Frontmann nicht nur als Musiker, sondern gleich als Multimedia-Hybrid-Gesamtkunstwerk. Weg vom Image des Teenie-Schwarms, hin zum nachdenklichen, von Liebeskummer geplagten Künstler und Fashion Icon.  Und wenn mir mal jemand vor einigen Jahren erzählt hätte, dass mich das mal interessieren würde, hätte ich ihm wohl einen Vogel gezeigt. Doch nun bin ich hier, bei der Vernissage von Billy in der Seven Star Gallery in Berlin. Offiziell eingeladen.

„Billy“ Kaulitz präsentiert hier an diesem Mittwochabend sein Multimedia-Kunstprojekt „Love don’t break me“, das neben Musik auch aus Kurzfilmen in schwarz-weiß, einem aufwändigen Fotobuch und einer Fotokunst-Ausstellung besteht. Ein reiner Musik-Release würde seiner Vision als Künstler nicht gerecht werden, ließ Billy im Vorfeld verlautbaren.

Ich bin gespannt, was mich da erwartet. Vor gut sechs Jahren habe ich dank meiner Diplomarbeit ein mittelschweres Tokio-Hotel-Trauma erlitten. Aufgrund meines Themas „Die Problematik der Übersetzung von Songtexten in der Popularmusik am Beispiel von Tokio Hotel“, das aus einer wütenden Tirade aus Flüchen heraus entstanden war, habe ich drei Monate lang fast nur Tokio Hotel Songs gehört, gelesen, analysiert, Silben gezählt, Betonungsmuster und inhaltliche Aspekte untersucht und mein Last.FM-Profil damit völlig durcheinander gebracht. Und mein Hirn. Eigentlich wollte ich danach nie wieder etwas mit der Musik oder der Band zu tun haben. Aber wenn man sich einmal so intensiv mit einem Thema beschäftigt hat, verfolgt man ja doch immer noch, wie sich die Akteure weiterentwickeln. Zumindest mit einem halben Auge.

Jetzt bin ich also in Berlin. Offiziell eingeladen. Als ich an der Galerie ankomme, drückt sich bereits eine Horde aufgeregter Fans die Nase an der Fensterscheibe platt. Bis tief in die Nacht hinein werden sie ihre Plätze nicht verlassen. Aber das ahne ich bisher nur. Mit mir in der Schlange steht eine elegante junge Frau, die ich zunächst für eine PR-Dame halte. Allerdings trägt sie einen Meet & Greet Pass um den Hals.

Billy Fans
Sie warten stundenlang vor der Tür, die Fans von Billy.

Wie ich später von ihr erfahre, heißt sie Margaretta, ist 22 Jahre alt und kommt aus Odessa in der Ukraine. Sie wurde mit 13 zum Tokio Hotel Fan, lernte wegen Bill und Tom Deutsch und lebt mittlerweile als AuPair in Deutschland. Für das Meet & Greet, das im Vorfeld der Vernissage stattgefunden haben muss, hat sie 250 Euro bezahlt. Fast ihr ganzes Monatsgehalt ist dafür draufgegangen. Aber das ist es ihr wert. Ohne Tokio Hotel wäre sie nicht hier. Und dass sie es über Kontakte nun auch noch auf die Gästeliste der Vernissage geschafft hat, macht sie wohl zum glücklichsten Menschen im Raum.

Drinnen tummeln sich Fotografen, Journalisten, Hipster, Blogger, Freunde und Kollegen vom Star des Abends, der in einem Nebenraum im Akkord Interviews gibt. Immer unter der Beobachtung seiner Fans, die jeden Schritt durch die Scheibe dokumentieren und bei Instagram kommentieren. Ich sehe mich gemeinsam mit meinem Kollegen Daniel um.

Billy an der Wand

Billy ist überall

Auch wenn Billy nicht immer gerade neben einem steht, ist er omnipräsent. Billy. Billy. Billy. Viel Billy mit vielen Tattoos, viel nackter Haut. Die Musik seiner EP läuft in Dauerschleife, der Kurzfilm „Love don’t break me“, der gleichzeitig das Video zu seiner ersten Single ist, wird im Keller der Galerie immer wieder an eine Wand projiziert. Teils überlebensgroß blickt der 26-Jährige mal nachdenklich, mal lasziv von den rohen Wänden hinab auf seine geladenen Gäste. Kein Vergleich mehr zu dem kleinen Jungen, der vor mehr als 10 Jahren „Durch den Monsun“ ins Mikro gekräht hat.

An mir drängeln sich zwei Damen Ende 30 vorbei, die „ja eigentlich gar nicht so das Fan-Gen haben“, um dann nacheinander schnell ein Selfie mit Tom Kaulitz, Lena, MC „Mäc“ Fitti und Jimi Blue Ochsenknecht und ein paar anderen scheinbar Prominenten zu schießen, die ich nicht erkenne.

Ich halte mich lieber ein bisschen zurück und beobachte weiter, betrachte die riesigen Fotoprints. Einige davon gefallen mir wirklich sehr gut. Andere sind mir ein wenig zu glatt, was womöglich daran liegt, dass sie während der Shoots der Videoelemente des Kunstprojekts entstanden sind. Gestellt eben. Nichtsdestotrotz sind es schöne Bilder. Auch das Video bzw. der Kurzfilm ist recht ästhetisch. Die Musik dagegen ist, naja, nicht so 100% meins. Sie bleibt bei mir nicht so richtig hängen, aber fällt auch nicht negativ auf.  Eben Elektropop, wie er gerade modern ist. Aber es gibt definitiv Schlechteres in den Charts.

Kurz nach dem offiziellen Fototermin gehe ich doch einmal kurz zu Billy und bitte ihn um ein Foto. Fast beiläufig sage ich ihm danach, dass mir die Bilder gut gefallen. Jetzt passiert etwas, mit dem ich nie gerechnet hätte. Der Junge lächelt, strahlt regelrecht, bedankt sich. Und zwar nicht mit so einem aufgesetztes „ja, ich weiß, die sind super, was?“-Star-Lächeln, sondern eher so wie ein kleiner Junge, der erfährt, dass er das rote Rennauto wirklich zum Geburtstag bekommt.

Während ich eigentlich mit der für Musikblogger entsprechenden Ironie an diesen Termin gehen wollte, merke ich hier, dass es hier eigentlich gar nicht so viel Ironisches zu vermelden gibt. Ja, da sind die nervösen Hardcore-Fans draußen vor der Scheibe, die schmierigen Boulevard-Fotografen, die merkwürdigen Wannabe-It-Girls auf der Jagd nach Selfies, der typische Szene-Smalltalk zwischen Bier und Gin Tonic. Aber wenn man all diese Faktoren ausblendet und für einen Moment vergisst, dass es sich bei Billy um einen ehemaligen Teeniestar handelt, steht im Mittelpunkt eigentlich nur ein junger Mann, der einfach genau das macht, wofür sein Herz schlägt. Und das kann ihm wirklich niemand verdenken.

Der Abend bei Billy in Bildern

6 Kommentare auch kommentieren

  1. Anni sagt:

    Schöner Bericht. Vielen Dank. ☺️

  2. Mad Scooter sagt:

    So geht guter Journalismus. Danke dafür!

  3. Ingo Schmoll sagt:

    „Während ich eigentlich mit der für Musikblogger entsprechenden Ironie an diesen Termin gehen wollte, merke ich hier, dass es hier eigentlich gar nicht so viel Ironisches zu vermelden gibt!“

    Ich bin zwar kein Die-Hard Tokio Hotel Fan und war nie einer, aber stehe auf objektive Herangehensweisen und deshalb Danke, dass Du deiner Versuchung wiederstehen konntest, einfach nur den 2000, Artikel zu schreiben, dessen Tenor der immer Gleiche ist. Ich habe letztes Jahr mit TH eine Folge Rockpalast Backstage in Los Angeles gedreht und teile Deine Auffassung, gute Jungs, die einfach ihren Traum verfolgen. Nothing wrong with that. Es sei denn, man kommt aus dem Land, was so gerne seine Künstler klein hält aus lauter Neid an allen Ecken

    1. …oder weil die Frisuren mal ausgefallen waren 😉 Danke für deinen Kommentar! Das liebe ich am Bloggen, ich kann schreiben was ich will und muss mich nicht den Erwartungen meiner Leser beugen, was im Kulturbereich einiger sehr großer Mainstream-Medien einige Leute wohl doch machen.

  4. Aley sagt:

    Tokio Hotel werden von usneren Kids immer noch geliebt.
    Sunny Regards

  5. Andrea sagt:

    Sein neues Lied gefällt mir aber sehr gut.

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